«Ich liess mir das Privileg, in der Schweiz aufzuwachsen, nicht nehmen»
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Popstar Ilira mit Mama Entela:«Meine Mutter ist viel ehrgeiziger als ich»

Popstar Ilira (25) im Gespräch mit Mama Entela Gashi (53)
«Ich liess mir das Privileg, in der Schweiz aufzuwachsen, nicht nehmen»

Mit viel Durchhaltewillen machte Ilira ihren Traum vom Musikerdasein wahr. Geholfen hat ihr dabei stets Mutter Entela. Doch das war nicht immer so einfach, wie die beiden im Generationengespräch verraten.
Publiziert: 23.08.2020 um 23:26 Uhr
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Aktualisiert: 26.09.2020 um 19:51 Uhr
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Stolze Familie: Gresa, Entela, Ilira und Ismet Gashi an der Verleihung des New Faces Award der deutschen Illustrierten «Bunte». Ilira gewann den Preis 2019 in der Kategorie «Musik».
Foto: Getty Images
Interview: Michel Imhof

Ilira Gashi (25) schaffte es von der Problemschülerin zum Popstar, wohnt heute in Berlin, ist Dauergast in der Hitparade und singt mit Weltgrössen wie DJ Tiësto (51). Trotzdem sagt die in Köniz BE aufgewachsene Frau über ihre Mutter Entela Gashi (53): «Sie ist viel ehrgeiziger als ich.»

BLICK: Sie haben riesige Bekanntheit erlangt, bauen Schritt für Schritt weiter an Ihrem Traum vom grossen Musikerleben. Wieso ist Ihre Mutter ehrgeiziger?
Ilira Gashi: Sie kam als junge Frau wegen meines Vaters in die Schweiz, mit einem Psychologie-Abschluss, der ihr hier nur zum Teil angerechnet wurde. Sie musste sich alles noch mal neu aufbauen. Sie hat gleichzeitig zwei Töchter grossgezogen, studiert und nebenbei noch im Spital gearbeitet – und das in einem fremden Land, in einer anderen Sprache. Das beeindruckt mich sehr. Meine Mutter ist mein grösstes Vorbild.
Entela Gashi: Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, die Kinder so viel zu Hause zu lassen. Ich habe immer 100 Prozent gearbeitet, ihr Vater Teilzeit. Die Assistenzarztstelle hier war sehr anspruchsvoll – auch wegen meiner damals mangelhaften Deutschkenntnisse.
Ilira Gashi: Wir haben uns gegenseitig unterstützt. Und es ist alles gut herausgekommen.

Frau Gashi, wie kamen Sie in die Schweiz?
Entela Gashi: Ich und mein Mann Ismet lernten uns 1992 an einem albanischen Strand kennen. Wir beide waren dort in den Ferien und verliebten uns ineinander. Er lebte schon seit zwei Jahren in der Schweiz. Im Kosovo, wo er herkommt, war Krieg. In meiner Heimat Albanien fand der Wechsel vom Kommunismus zur Demokratie statt. Zwei Jahre lang führten wir eine Fernbeziehung, dann hielt er um meine Hand an. Und für mich stand viel auf dem Spiel, ich hatte mein Doktorstudium gerade abgeschlossen und kannte die Schweiz nicht.

Und dann?
Entela Gashi: Ich nahm den Antrag an und entschied mich für das Leben in der Schweiz. Und baute mir alles Schritt für Schritt auf.

Wie verlief Ihre Integration?
Entela Gashi: In der Schweiz gibt es viele Möglichkeiten, aber man muss sie zuerst finden und an die Hand nehmen. Ich suchte mir günstige Sprachkurse aus, ging zur Berufsberatung, machte Praktika und fing irgendwann als Assistenzärztin an zu arbeiten. Zuerst lebten wir in Brienz, die Schweiz war und ist für mich ein Paradies. Ein richtiges Heidiland.

Ilira, Sie kommen gerade aus dem Familienurlaub auf Mallorca zurück. Eine 25-Jährige, die mit Ihren Eltern verreist, das ist doch eher ungewöhnlich.
Ilira Gashi: Finden Sie? Bei uns ist das eine jährliche Tradition, das machen wir immer. Vor allem jetzt, da meine Eltern wegen des Coronavirus mich nicht in meinem Wohnort Berlin besuchen konnten, war das umso schöner. Wir haben eine sehr enge Bindung in der Familie.

Das sieht man auch auf Instagram. Ihre Mutter scheint Ihr grösster Fan zu sein.
Ilira Gashi: Ich musste ihr Instagram einrichten, damit sie alles verfolgen kann, was ich mache (lacht).
Entela Gashi: Ich bin wirklich wahnsinnig stolz, wenn ich sehe, was sie erreicht hat und wie wir darauf hingearbeitet haben. Zu Beginn habe ich sie unterschätzt. Aber als ich Ilira bei einer Schulaufführung singen hörte, kamen mir sogar die Tränen. Ich hatte ein unfassbar schlechtes Gewissen, dass ich ihren Wunsch, ein Popstar zu sein, nicht ernst nahm.
Ilira Gashi: Ab diesem Zeitpunkt wurde sie meine Managerin.
Entela Gashi: Ich schrieb Bewerbungen für verschiedene Musikschulen und wir gingen gemeinsam zur Berufsberatung. Dort waren wir wieder den Tränen nahe.
Ilira Gashi: Man sagte mir, dass man in der Schweiz mit Musik nur als Lehrerin oder als Instrumentenverkäuferin Geld verdienen könne. Aber das wollte ich nicht akzeptieren, ich hatte keinen Plan B.

Was waren Sie für eine Schülerin?
Ilira Gashi: Durchschnittlich. In den Sprachfächern, Sport und Musik super, in Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern grottenschlecht. Ich habe nie verstanden, was mir der Satz des Pythagoras irgendwann als Musikerin bringen sollte. Darum bewunderte ich Mitschüler, die ohne ein berufliches Ziel die besten Noten geschrieben haben.

Frau Gashi, wie oft wurden Sie wegen Ilira in die Schule zitiert?
Entela Gashi: Sicher drei bis vier Mal. Ilira hat die Schule zu ihrer Bühne gemacht und sich auch gerne extravagant gekleidet. Ich stand oft an der Tür und sagte zu ihr: «Aber Mädchen, so willst du zur Schule gehen?» Trotzdem hat sie ihr Ding durchgezogen.
Ilira Gashi: Ich wollte mich abheben. Und wenn ich wegen meiner Aufmachung Ärger bekam, wurde ich umso wütender. Warum mir 50-jährige Männer erzählen, wie ich mich zu kleiden habe, ging mir nie in den Kopf.

Heute zeigen Sie sich auch mal gern freizügig. Was sagen Sie dazu, Frau Gashi?
Entela Gashi: Ich habe mit Freizügigkeit kein Problem, solange sie nicht billig ist. Ich habe Ilira stets eingetrichtert, dass sie das für sich machen soll und nicht für andere.
Ilira Gashi: Das ist mir auch heute sehr wichtig. Wenn ich Haut zeige, dann weil ich es sexy finde. Für mich. Und nicht für andere.

Waren feministische Werte ein Teil Ihrer Erziehung?
Entela Gashi: Klar. Im kommunistischen Albanien hatten Frauen einen viel grösseren Stellenwert, konnten Ausbildungen machen und studieren. Das war im Kosovo, wo mein Mann herkommt, nicht so.
Ilira Gashi: Mein Vater ist eher konservativ, musste sich erst an die hiesigen Gepflogenheiten gewöhnen. Auch punkto Erziehung und was man darf und was nicht.

Wann durften Sie zum ersten Mal in den Ausgang?
Ilira Gashi: Durften? Ich habe es einfach gemacht. Damals war ich 14 Jahre alt und wollte in Zürich feiern gehen. Ich musste meine Eltern ein bisschen erziehen, damit sie lockerer werden. Zeigen, dass meine Schweizer Mitschüler viel mehr dürfen als meine Verwandten im Balkan. Ich wollte mir das Privileg, in der Schweiz aufzuwachsen, nicht nehmen lassen.

Wann hatten Sie Ihren grössten Streit?
Ilira Gashi: Bei meinem ersten Freund, da war ich auch 14. Meine Eltern sind sogar hinter meinem Rücken zu ihm gefahren und wollten ihn kennenlernen (lacht).
Entela Gashi: Wir wollten wissen, in was für einen Bub sich Ilira verliebt hatte. Sie war ja noch so jung.
Ilira Gashi: Das ganze hielt acht Monate. Er hat Schluss gemacht, weil er vor meinen Eltern ein bisschen Angst hatte (lacht erneut).

Die Corona-Krise trifft Sie, Ilira, besonders hart. Gagen fallen aus, Konzerte finden nicht statt. Wie erleben Sie das?
Ilira Gashi: Klar brechen viele Einkünfte weg. Ich habe aber Geld angespart und werde auch von meinen Eltern unterstützt. Zudem habe ich das Glück, dass ich auch Lieder für andere Künstler schreibe. Da gibt es viele Projekte, die derzeit laufen. Die Corona-Zeit hat also nicht nur negative Seiten.

Was nehmen Sie Positives mit?
Ilira Gashi: Letztes Jahr reiste ich von Konzert zu Konzert und war ständig unterwegs. Das hat mir gezeigt, wie schnell man an seine Grenzen kommen kann.
Entela Gashi: Ich habe mir grosse Sorgen gemacht. Sie hat viel abgenommen, war gestresst und mit den Gedanken immer irgendwo anders. Ich sagte zu meinem Mann: «Mein Gott, und für das haben wir gekämpft?» Mich interessiert die Gesundheit von Ilira körperlich, aber auch psychisch. Und darum glaube ich, dass die Corona-Zeit ihr guttat.
Ilira Gashi: Mittlerweile bin ich lockerer. Mit «Fading» hatte ich einen Hit, jetzt kann ich alles entspannter angehen.

Also möchten Sie gar keine Künstlerin sein, die in ausverkauften Stadien spielt?
Ilira Gashi: Doch klar, aber nicht um jeden Preis. Mir ist es wichtiger, glücklich zu sein, als mich für Ruhm zu verkaufen.

Frau Gashi, Ihre Tochter trat am letzten Silvester am Brandenburger Tor vor Tausenden Menschen auf – und Sie waren dabei. Wie war das für Sie?
Entela Gashi: Ich kann das gar nicht in Worte fassen. Mein Mann und ich waren zwei Jahre nach unserer Ankunft in der Schweiz am Brandenburger Tor und haben schon damals die Jahreswende gefeiert. Damals waren wir ohne richtige Papiere dort, standen am Anfang unseres Lebens in der Schweiz und so viele Jahre später stehen wir wieder da – und unsere Tochter singt auf der Bühne. Ein ganz tolles Erlebnis, auch für ihren Vater.
Ilira Gashi: Er ist immer sehr emotional, wenn es um meine Erfolge geht, und freut sich wie ein kleines Kind. Ich habe ihn und mein Mami auch auf die Bühne geholt, da hat er einfach während der Live-Sendung mit Verwandten per Video telefoniert (lacht).

Was ist es für ein Gefühl, die Eltern so stolz zu machen?
Ilira Gashi: Mega schön, vor allem wenn man in der Pubertät die Eltern bis an den Rand der Verzweiflung brachte. Heute sehen sie auch, warum ich so rebelliert habe. Jetzt macht es Sinn. Das will ich auch gerne anderen Eltern mitgeben – dass sie aufmerksam sind und versuchen, den Grund von Verhaltensweisen zu erkennen.
Entela Gashi: Wenn ich mit meinem Mann durch Bern laufe, sehen wir viele junge Menschen, die irgendwo rumsitzen. Dann habe ich schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich sehe, wo Ilira momentan steht. Und sage zu meinem Mann: «Wir haben Ilira solchem Stress ausgesetzt. Und alles für nichts!» (lacht). Sie hat ihren Weg gefunden.

Wie sehen Sie die Schweiz heute?
Ilira Gashi: Für mich ist das meine Heimat, der Ort, wo ich geboren bin. Und ich liebe Schweizer Eigenschaften wie Pünktlichkeit, Beständigkeit und die wunderschöne Natur.
Entela Gashi: Ich habe der Familie immer gesagt, wir wohnen nicht in unserem Land und müssen uns den Gepflogenheiten anpassen. Das hat in meinen Augen gut geklappt. Ich bin stolz, heute die Schweiz als mein Zuhause zu bezeichnen.

Das Bärner Pop-Meitschi und seine Mutter

Ilira Gashi wurde am Brienzersee geboren, wuchs in Köniz BE und Niederwangen BE auf. Heute wohnt die Sängerin in Berlin, mit ihrem Hit «Fading» landete sie in der Hitparade. Sie schreibt Lieder für sich und andere Künstler, mit Weltstar-DJ Tiësto (51) arbeitete sie zusammen. Ihre Mutter Entela Gashi, aus der albanischen Hauptstadt Tirana stammend, kam nach dem Heiratsantrag von Ismet Gashi 1994 in die Schweiz. Die Psychotherapeutin mit Doktortitel baute sich hier ihre Existenz auf. Sie holte Prüfungen nach, damit ihre Titel auch in der Schweiz anerkannt wurden. Seit 2019 hat sie eine eigene Praxis in Bern.

Nathalie Taiana

Ilira Gashi wurde am Brienzersee geboren, wuchs in Köniz BE und Niederwangen BE auf. Heute wohnt die Sängerin in Berlin, mit ihrem Hit «Fading» landete sie in der Hitparade. Sie schreibt Lieder für sich und andere Künstler, mit Weltstar-DJ Tiësto (51) arbeitete sie zusammen. Ihre Mutter Entela Gashi, aus der albanischen Hauptstadt Tirana stammend, kam nach dem Heiratsantrag von Ismet Gashi 1994 in die Schweiz. Die Psychotherapeutin mit Doktortitel baute sich hier ihre Existenz auf. Sie holte Prüfungen nach, damit ihre Titel auch in der Schweiz anerkannt wurden. Seit 2019 hat sie eine eigene Praxis in Bern.

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