«Close the Gap» steht in mehrfacher Wiederholung an der Wand über dem Bücherregal, das einem als Erstes ins Auge sticht, betritt man Patrizia Laeris (45) Büro im Zürcher Seefeld. «Mit der Lücke ist die letzte Hürde vor der Gleichstellung gemeint: das Geld», sagt Laeri. «Geld regiert die Welt, doch Frauen regieren noch immer nicht mit.» In einer eleganten Altbauwohnung hat die Wirtschaftsjournalistin und Ökonomin mit ihren Migründerinnen das Start-up ElleXX eingerichtet. Eine Plattform, die Frauen nicht nur in Geldfragen unterstützt, sondern sie auch in Anliegen wie Mobbing, Sexismus am Arbeitsplatz oder sexuelle Übergriffe berät. Laeri selbst hat kürzlich im Zuge der #MediaToo-Bewegung schwere Vorwürfe gegen einen SRF-Redaktor erhoben. Er habe sie sexuell belästigt, als sie vor 20 Jahren ein Praktikum absolvierte.
Blick: Fünf Jahre nach #MeToo sorgt die #MediaToo-Bewegung in der Schweiz für Schlagzeilen – und aktuell wird über den Umgang von SRF mit Comedy-Frauen diskutiert. Warum hat es ein halbes Jahrzehnt gedauert, bis sich Frauen in unserem Land so aktiv gegen Sexismus, Missbrauch und Diskriminierung erheben?
Patrizia Laeri: Das hängt wohl damit zusammen, dass die Schweizer Medienbranche nach wie vor stark von Männern dominiert ist und bei diesen Themen lange eine Kultur des Schweigens geherrscht hat. Ich selbst habe 20 Jahre gebraucht, bis ich überhaupt realisierte, was mir angetan worden war. Erst mit der Gründung von ElleXX wurde mir bewusst, dass ich Opfer von sexueller Belästigung geworden war. Vorher habe ich das erfolgreich verdrängt. Die Ironie der Geschichte ist, dass ich nun unser eigenes Rechtsschutzprogramm in Anspruch nehmen muss, um mich gegen sexistische Artikel zur Wehr zu setzen.
Es hat ein deutsches Medium gebraucht, um mit dem Fall Canonica die #MediaToo-Bewegung ins Rollen zu bringen. Ist unsere Schweizer Mentalität mitverantwortlich dafür, dass so lange nichts passiert ist?
Absolut. Die Schweiz ist ein Entwicklungsland, was Frauenrechte anbelangt. Wenn ein deutsches Medium wie der «Spiegel» einem Schweizer Fall eine so grosse Plattform bietet, kann er auch bei uns nicht mehr ignoriert werden. Für mich war auch wichtig zu erkennen, dass jeder, der wegschaut oder nichts sagt, zu einem toxischen Betriebsklima beiträgt. Also auch ich, denn ich habe lange weggeschaut.
Sie selber haben Ihr Schweigen gebrochen und gesagt, dass Sie sexuell belästigt wurden. Nennen allerdings nicht den Namen des Täters. Der Erfolg von #Metoo basiert aber genau darauf, dass man die Täter benennt – weshalb haben Sie sich trotzdem dagegen entschieden?
Es sollte kein persönlicher Rachefeldzug werden. Es gibt noch viele weitere Fälle. Ich muss aber sagen: Das SRF hat sich in dieser Angelegenheit wirklich vorbildlich verhalten. Der Sender hat eine interne Untersuchung eingeleitet, und ich wurde zu einer externen Untersuchungsstelle eingeladen.
Was erwarten oder fordern Sie in Bezug auf Ihren Täter?
Ich kann Ihnen sagen, was ich nicht will: Ich will keine Entschuldigung, sondern eine Revolution. Es muss ein Prozess angestossen werden, in dem diese sexistische Kultur hinterfragt wird, in dem die betroffenen Personen geschützt werden und solche Täter künftig nie mehr mit jungen Frauen zusammenarbeiten dürfen.
Patrizia Laeri (45) ist eine der prominentesten Wirtschaftsjournalistinnen der Schweiz. Sie wuchs im Kanton Zürich auf und studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Zürich. Nach ihrer Zeit beim Schweizer Radio und Fernsehen, wo sie in verschiedenen Redaktionen tätig war, und einem kurzen Intermezzo bei CNN Money Switzerland, gründete Laeri 2021 das Medien- und Finanzportal ElleXX. Das Unternehmen setzt sich mit Fragen wie Lohngleichheit und dem Kampf gegen Sexismus auseinander.
Patrizia Laeri (45) ist eine der prominentesten Wirtschaftsjournalistinnen der Schweiz. Sie wuchs im Kanton Zürich auf und studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Zürich. Nach ihrer Zeit beim Schweizer Radio und Fernsehen, wo sie in verschiedenen Redaktionen tätig war, und einem kurzen Intermezzo bei CNN Money Switzerland, gründete Laeri 2021 das Medien- und Finanzportal ElleXX. Das Unternehmen setzt sich mit Fragen wie Lohngleichheit und dem Kampf gegen Sexismus auseinander.
Trotzdem hat man den Eindruck, dass die betroffenen Unternehmen, die Untersuchung der Fälle immer noch sehr zögerlich vorantreiben.
Ja. Es wäre wirklich an der Zeit, dass sich ein grosses Medienunternehmen primär hinter das Opfer stellt. Alles andere ist veraltete Unternehmenskultur. Macht deckt weiterhin Macht. Offenbar hat sich da bei den Strukturen noch nicht das Nötige geändert.
Gerade als junge Journalistin läuft man Gefahr, Opfer von missbräuchlichem Verhalten zu werden. Als Frau wird man zudem nicht nur sexuell belästigt, sondern oft auch monetär diskriminiert.
Ganz genau. Ich habe als junge Journalistin Lohndiskriminierungen auf mehreren Ebenen erlebt. Ich musste etwa eine Sendung in einem Tag fertigstellen, während mein viel erfahrener Kollege vier bis fünf Tage Zeit hatte. Obwohl ich das mehrfach beim Chef ansprach, wurde nichts unternommen.
Apropos Lohn: Sie haben diese Woche Ihr Gehalt öffentlich gemacht und viel Zuspruch für Ihre Transparenz erhalten. Im selben Atemzug rufen Sie dazu auf, dass noch mehr Leute ihren Lohn offenlegen. Ist diese Forderung nicht unrealistisch in einem Land, in dem man nicht über Geld spricht?
Nein. Ich denke, diese Transparenz schafft Vertrauen und hilft, dass der Gender-Pay-Gap endlich überwunden wird. Im jetzigen System müssen Frauen immer noch früh lernen, in erster Linie besser zu verhandeln, da sie vom Gesetz nicht geschützt werden. Aktuell verdienen die am meisten, die am besten verhandeln, und die Kompetenz bleibt dabei oft aussen vor.
Ihre Lohndeklaration von monatlich 8000 Franken als Selbständige und Firmeninhaberin ist allerdings wenig aussagekräftig, da Sie ja selber bestimmen, wie viel Sie sich auszahlen und womöglich an Boni und Dividenden noch viel mehr verdienen.
Trotzdem ist das mein Lohn und zu dem stehe ich. Die Negativschlagzeilen zu diesem Thema sind ökonomischer Sexismus. Ich verstehe es, dass man bei meinem SRF-Lohn mitreden wollte. Als Angestellte eines öffentlich-rechtlichen Senders wird man von der Öffentlichkeit bezahlt. Aber jetzt bin ich in der Privatwirtschaft und selbständig. Ich glaubte, nun die Hater loszuhaben. Aber das Gegenteil ist der Fall: Es wurde nur noch schlimmer.
Was sehen Sie als Grund für die heftige Kritik an Ihrer Person – Ungerechtigkeitsempfinden, Missgunst oder simpler Frauenhass?
Ich denke, es hat viel mit einem generellen Frauenhass zu tun. Ich habe noch nie so viele Hassmails erhalten, wie jetzt nach meiner Lohnoffenlegung. Bei #MediaToo waren die Reaktionen im Vergleich moderat. Doch die enorme wirtschaftliche Abhängigkeit der Frauen soll scheinbar kein Thema werden. Ich bin unterdessen die wohl meistgehasste Journalistin und Medienunternehmerin der Schweiz und ich frage mich, wieso. Ich habe nie jemanden persönlich angegriffen. Die einzige plausible Erklärung für mich ist, dass mein Team und ich mit unseren Artikeln die Finger in die wunden Punkte legen, Systemfehler aufdecken. Schlimmer würde es wohl nur werden, wenn ich in die Politik einsteigen würde – was ich aber nicht vorhabe (lacht).
Bleiben wir bei der Politik: Am 8. März ist Weltfrauentag unter dem Motto «Fairness feiern». Einen Tag vorher wird im Ständerat abschliessend über das neue Sexualstrafrecht abgestimmt – eine Abstimmung, die viele als unfair empfinden.
Zu Recht. Ich finde es absolut unfair, dass ein mehrheitlich männliches Gremium über den rechtlichen Umgang mit sexuellen Übergriffen an Frauen bestimmt. Aber es überrascht mich leider nicht, dass sie das dürfen. Denn so war es in der Schweiz ja schon immer. Männer haben über Frauen bestimmt. Nun ist es an der Zeit, diese Lücke zwischen den Geschlechtern zu schliessen. Auch wenn es weltweit gesehen noch 267 Jahre dauern wird, bis Männer und Frauen ökonomisch dieselben Chancen haben, sehe ich es als meine Lebensaufgabe, mich für dieses Ziel einzusetzen.