Als Filmproduzentin ist Ruth Waldburger naturgemäss eher hinter der Kamera anzutreffen. Dabei gehörte die gebürtige Appenzellerin, die jede unserer Fragen mit einer Art bescheidener Lässigkeit beantwortet, ins Rampenlicht. Keine in unserem Land hat so viele Filme produziert, mit namhafteren Regisseuren oder Schauspielern gedreht und dabei auch noch einen echten Weltstar entdeckt. Kein Wunder wurde Waldburgers neuer Film «Schwesterlein», der die Geschichte von Theaterautorin Lisa (Nina Hoss) und ihrem schwer an Krebs erkrankten Zwillingsbruder Sven (Lars Eidinger) erzählt, als offizieller Schweizer Beitrag für die Oscars eingereicht.
Frau Waldburger, Sie gehen mit «Schwesterlein» bereits zum fünften Mal ins Oscar-Rennen – was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Ruth Waldburger: Es freut mich sehr, dass die Schweiz unseren Film eingereicht hat. Aber zum Oscar ist es ein weiter Weg. Und ganz ehrlich: Der Oscar ist nicht mein Ziel. Lieber würde ich die Goldene Palme von Cannes gewinnen. Mit dem europäischen Film bin ich viel enger verbunden als mit Hollywood. Aber wir werden sehen. Die Oscar-Verleihung findet nächstes Jahr genau am 25. April, an meinem Geburtstag, statt. Wenn das kein gutes Zeichen ist (lacht). Da würde eine Auszeichnung natürlich gut passen.
Bereits mit «La petite chambre» wurden Sie zusammen mit den «Schwesterlein»-Regisseurinnen Stéphanie Chuat (49) und Véronique Reymond (49) für die Oscars vorgeschlagen. Sie sind offenbar ein Traumteam.
Das kann man sagen, ich arbeite sehr gerne mit den beiden zusammen. Was mich dieses Mal zudem besonders freut, ist, dass wir mit «Schwesterlein» auch für den Europäischen Filmpreis nominiert sind.
Sie haben über 100 Filme produziert, mit Grössen wie Jean-Luc Godard (89) und Robert Frank (†94) gearbeitet, Arthouse-Filme bis hin zu Komödien mit Viktor Giacobbo (68) gedreht. Wie bringt man so viele Themen unter einen Hut?
Indem man es einfach macht (lacht). Ich wollte in den 90er-Jahren Komödien produzieren, weil es damals noch kaum Schweizer Komödien gab – heute ist das ganz anders. Und tendenziell laufen lustige Filme im Kino besser als Dramen. Mein Credo ist: Stoffe zu verfilmen, die mich interessieren, und mit Regisseurinnen zusammenzuarbeiten, mit denen ich das gerne tue.
1991 ebneten Sie Brad Pitt (56) mit der Hauptrolle in Ihrem Film «Johnny Suede» eine Weltkarriere. Haben Sie sofort gespürt, dass der damals junge Mann das Zeug zum Superstar hat?
Jein, Brad war damals noch schüchtern. Ich kannte ihn aus der «Levis 501»-Jeanswerbung. Der Regisseur und ich luden ihn zum Casting in New York ein. Er überzeugte uns sofort. Pitt stach aus dieser Gruppe von 20 Männern heraus. Wir wussten: Nur er kann die Rolle des Johnny Suede spielen. Schon damals, ganz zum Beginn seiner Karriere, war er ein begnadeter Schauspieler.
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Besonders eng haben Sie mit Meisterregisseur Jean-Luc Godard zusammengearbeitet. Sie haben elf seiner Filme produziert. Stehen Sie noch in Kontakt?
Ja, ich habe ihn gerade kürzlich getroffen. Es geht Jean-Luc im stolzen Alter von 89 Jahren sehr gut. Wir werden auch bald wieder zusammenarbeiten und seine Filme, die es noch nicht in digitaler Form gibt, digitalisieren.
Sie sagten mal, ein Filmset sei anstrengend und psychotisch – und der einzige dazugehörige Beruf, den Sie sich vorstellen könnten, sei der der Produzentin. Warum?
Weil sie neben dem Regisseur die Einzige ist, die was zu sagen hat. Alle anderen Jobs am Set haben mich weniger interessiert. In meiner Funktion bin ich bei jedem Schritt des Films dabei, das ist sehr spannend.
Muss man als Produzentin ein Machtmensch sein?
Nicht unbedingt, aber man darf keine Angst davor haben, Entscheidungen zu treffen – gerade auch als Frau. Anders als bei den Regisseurinnen gibt es in Europa unter den Produzentinnen sehr viele Frauen.
Wie haben Sie als Filmschaffende, die auf den direkten Kontakt mit Menschen angewiesen ist, die Zeit des Lockdowns erlebt?
Unterschiedlich. Es war schön, entschleunigen zu können. Ich konnte mehr Zeit mit meiner Tochter verbringen und oft selber kochen. Ich war auch jeden Tag einige Stunden im Büro. Aber ich habe die Auszeit nicht genossen, im Gegenteil. Ich fand es langweilig und bin froh, dass es nun wieder weitergeht.
Am Donnerstag haben Sie in Zürich die Lancierung Ihres Films «Schwesterlein» gefeiert. Wie war Ihre erste Filmpremiere zur Zeit der Corona-Krise?
Es war sehr schön, die Schauspieler und andere, die mitgewirkt haben, wiederzusehen. Bei der Berlinale im Februar lagen wir uns alle noch in den Armen, küssten uns. Das wäre heute undenkbar. Ich habe in Zürich niemanden umarmt. Die Zeiten haben sich wirklich sehr geändert.
Die Kulturszene leidet besonders stark unter den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie. Wird das Schweizer Kino Corona überstehen?
Ja. Dem Schweizer Film geht es gut. Wir sind ein kleines Land, und doch produzieren wir qualitativ wertvolle Werke. Im Gegensatz zu Hollywood finden bei uns auch schon wieder Dreharbeiten statt. Und wir haben in unserem Land eine gute Filmförderung. Zudem hoffe ich, dass die Leute bald wieder vermehrt ins Kino gehen.
Das klingt sehr optimistisch.
In der Filmbranche muss man optimistisch bleiben (lacht). Sonst schafft man es nicht sehr lange.
Ruth Waldburger ist in Arosa und Herisau aufgewachsen. 1974 arbeitete sie bei der SRF-Sendung «Kassensturz». 1977 wechselte sie zum Film und absolvierte als Aufnahmeleiterin beim Filmregisseur Alain Tanner ein Praktikum. 1982 wurde sie Mitinhaberin von Xanadu Film, bis sie 1988 mit Vega Film eine eigene Produktionsfirma gründete. Zu den Filmgrössen, mit denen sie gearbeitet hat, zählen Jean-Luc Godard, Marcello Mastroianni und Alain Delon. Waldburger ist Mutter einer Tochter und lebt in Zürich. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen unter anderem 2015 den Bremer Filmpreis für ihr «feines Gespür für Entdeckungen».
Ruth Waldburger ist in Arosa und Herisau aufgewachsen. 1974 arbeitete sie bei der SRF-Sendung «Kassensturz». 1977 wechselte sie zum Film und absolvierte als Aufnahmeleiterin beim Filmregisseur Alain Tanner ein Praktikum. 1982 wurde sie Mitinhaberin von Xanadu Film, bis sie 1988 mit Vega Film eine eigene Produktionsfirma gründete. Zu den Filmgrössen, mit denen sie gearbeitet hat, zählen Jean-Luc Godard, Marcello Mastroianni und Alain Delon. Waldburger ist Mutter einer Tochter und lebt in Zürich. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen unter anderem 2015 den Bremer Filmpreis für ihr «feines Gespür für Entdeckungen».