Auf einen Blick
- Nora Osagiobare schreibt satirisch über Rassismus in der Schweiz
- Humor als Überlebensstrategie für ernste Themen wie Alltagsrassismus und Sexismus
- Autorin ist 32 Jahre alt und hat ihren Roman «Daily Soap» veröffentlicht
Toni fällt äusserlich in die Kategorie «Cappuccino mit einem Schuss mehr Milch, also Cappuccino Macchiato und einem Löffel Rohrzucker, serviert an einem lauen Novemberabend in Sri Lanka». Mussten Sie schmunzeln? Oder ist Ihnen das Lachen im Hals stecken geblieben? In beiden Fällen hat die junge Zürcher Autorin Nora Osagiobare (32) ihr Ziel erreicht. Ihr Debüt «Daily Soap» ist ein Blick in eine dystopische Schweiz, in der Menschen nach Kaffeefärbung eingeteilt werden. Eine Schweiz, in der ungefragt rumgeschwurbelt, betatscht und beleidigt wird. Und Hauptfigur Toni? Die rettet sich in ihre Lieblingssoap – wohlwissend, dass vor ihrer eigenen Haustür die eigentliche Komödie abläuft.
Blick: Nora Osagiobare – haben Sie eine Lieblingssoap?
Nora Osagiobare: Ja, tatsächlich. Sie heisst «Vorstadtweiber». Ein furchtbarer Name, aber so eine lustige Sendung. Darin geht es um Frauen, die reiche Männer geheiratet haben und in einer Vorstadt leben. Von ihren Partnern werden sie masslos unterschätzt – dabei planen sie fortlaufend Komplotte und haben Affären. Wenn ich die Serie schon früher gekannt hätte, wäre mein Buch vielleicht noch etwas besser geworden (lacht).
«Vorstadtweiber» klingt dann schon fast avantgardistisch. Anderen Seifenopern haftet aber das Vorurteil an, trivial zu sein. Und das ist Ihr Buch ganz und gar nicht.
Seifenopern sind eine extrem politische Angelegenheit. Das wird völlig übersehen.
Warum?
Sie tun so brav – und genau das ist das Problem. Seifenopern propagieren: Alles ist gut so, wie es ist. Es ist ein total antirevolutionäres Format.
Insofern ist Ihr Roman «Daily Soap» schon ein Wagnis – das allerdings mit jeder Seite mehr und mehr Sinn ergibt. Ihre Figuren lassen Alltagsrassismus und Sexismus banal erscheinen.
Mir hat zum Beispiel auch eine befreundete Autorin gesagt, sie fände es beeindruckend, dass man lustig darüber schreiben könne. Ich muss sagen: Ich könnte gar nicht anders über diese Sachen schreiben. Es gibt da ja immer eine gewisse Doppelbödigkeit. Ich glaube, ich habe einen Sinn für das Absurde – und Absurdität macht auch vor ernsten Themen keinen Halt.
Nora Osagiobare kommt 1992 in Zürich zur Welt und studiert in Biel und Wien literarisches Schreiben. Ihr Debüt-Roman «Daily Soap» ist eine satirische Gesellschaftskritik erster Güte. Osagiobare bricht nicht nur mit literarischen Normen, sie ummantelt ihre eigenen Erfahrungen mit entwaffnender Selbstironie. Ein Buch, das man im Gymnasium lesen sollte – und sonst sowieso.
Nora Osagiobare: «Daily Soap», Hardcover, 288 Seiten. Erscheint am 28.02. in der Schweiz bei Kein & Aber.
Nora Osagiobare kommt 1992 in Zürich zur Welt und studiert in Biel und Wien literarisches Schreiben. Ihr Debüt-Roman «Daily Soap» ist eine satirische Gesellschaftskritik erster Güte. Osagiobare bricht nicht nur mit literarischen Normen, sie ummantelt ihre eigenen Erfahrungen mit entwaffnender Selbstironie. Ein Buch, das man im Gymnasium lesen sollte – und sonst sowieso.
Nora Osagiobare: «Daily Soap», Hardcover, 288 Seiten. Erscheint am 28.02. in der Schweiz bei Kein & Aber.
Sie könnten – oder wollen – also gar nicht ernst über Rassismus schreiben?
Ich finde schon die Unterscheidung zwischen «ernst» und «lustig» nicht zutreffend – nur, weil du über etwas lachst, heisst es nicht, dass du nicht auch traurig darüber sein kannst. Im Gegenteil. Grundsätzlich ist Humor eine Überlebensstrategie.
Wie meinen Sie das?
Er verweist sehr oft auf etwas Abgrundtieftrauriges. Sehr oft werden ernste Themen erst dann verdaulich und zur öffentlichen Debatte, wenn man ihnen einen humoristischen Anstrich gibt.
Es gibt tatsächlich viele Beispiele von Minderheiten, die sich des Humors bedienen. Ich denke da an die jüdischen Witze.
Gut, dass Sie das sagen. «Oreo» von Fran Ross (1935–1985, Osagiobare hat ihr «Daily Soap» gewidmet, Anm. d. Red.) hat mich extrem inspiriert, meinen Text zu schreiben. Sie verarbeitet den Antisemitismus gegen ihre jüdische Familie einerseits und den Rassismus, den ihre afroamerikanische Familie erlebt, andererseits, extrem intelligent – und lustig. Dazu kommt dann noch der Sexismus, den sie als Frau erlebt hat. Bei der Lektüre von «Oreo» habe ich gemerkt: Ich darf die Sache mit Humor angehen. Ich bin ein Mensch.
... der im Buch aus der eigenen Biografie erzählt?
Natürlich auch, ja. Man hat mir auch schon das N-Wort gesagt. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, da haben andere Gesetze geherrscht. Man ist ausgestellt als Person mit einem afrikanischen Elternteil. Anonymität gibt es dort nicht. Wäre ich in Zürich in die Primarschule gegangen, hätte es vielleicht anders ausgesehen.
Haben Sie zu dieser Zeit Gewalt erlebt?
Ja. Von den Kindern physische. Und von ihren Eltern psychische. Oft begegne ich aber einer viel subtileren Form von Rassismus. Wo es schwieriger ist, mit dem Finger drauf zu zeigen. Wo viele Leute sagen würden: «Das ist doch nicht so gemeint!»
Nennen Sie mir ein Beispiel?
Als ich in Wien im Master studiert habe, gab es eine Seminarleiterin, die mich jeweils auf eine ganz bestimmte Art und Weise angeschaut hat – das kann ich niemandem erklären. Ihr Blick bedeutete aber: «Du gehörst hier nicht hin.» Mir fällt das auf, weil mir das schon so oft passiert ist. Aussprechen würde das nie jemand – verbaler Rassismus ist greifbarer. Aber je nach Äusserung nicht mal justiziabel.
Wie gehen Sie heute damit um, wenn Sie rassistisch beleidigt werden?
Oftmals merke ich es gar nicht – weil ich es gewohnt bin. Ansonsten hängt es von meiner aktuellen Verfassung ab. Wissen Sie, das Leben ist ohnehin schon anstrengend. Und ich bin müde. Manchmal ist es mir einfach zu anstrengend, zu reagieren. Und wenn irgendwelche Frauen im Niederdorf mit mir Englisch reden, ist das zwar nervig – aber irgendwie auch lustig.
Sie spielen in «Daily Soap» sehr wirkungsvoll mit dem Ausloten von Täter- und Opferrollen. In Ihrem Roman gibt es eine PR-Agentur, die sich «der nachhaltigen Umpolung von Täter-Opfer-Diskursen verschrieben» hat.
Auch das ist meiner Biografie geschuldet. Ich bin in der Schweiz mit Schweizer Pass geboren, war im Gymnasium. Wir hatten immer genug zu essen – und jetzt gebe ich ein Interview, weil ich ein Buch geschrieben habe. Und obwohl ich all diese Verletzungen mit mir mitschleppe, habe ich teilweise den absurden Eindruck, auch Täterin zu sein. Ich weiss ganz klar, dass der Rassismus, den ich erlebe, nichts im Vergleich zu dem ist, den meine Familie oder Millionen anderer Menschen erdulden müssen. Ich will meinen eigenen Schmerz nicht kleinreden; aber ich bin halt auch eine Europäerin, die in die Ferien geht, viel zu viel Fleisch isst – und von einem System profitiert, das ja schlussendlich nicht auf meiner Seite ist.
Zum Schluss noch etwas ganz anderes: Ich habe seit meiner Studienzeit nicht mehr so viele Fussnoten in einem Text gesehen.
Das ist ein Unitrauma. Ich hatte immer Ehrfurcht vor diesen grossen Hallen, diesem Gesieze und dass man die Dozierenden mit ihrem Titel ansprechen musste. Vielleicht habe ich deswegen das Studium abgebrochen – obwohl meine Noten eigentlich ganz gut waren. Mit den Fussnoten mache ich mich ein bisschen über diese Ernsthaftigkeit lustig – zumindest treibe ich diese ernsthafte Form, zu schreiben, ad absurdum.