Sie ist die wohl bekannteste Frauenfigur der Schweizer Literatur: die Bäuerin Christine, die in der Novelle «Die schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf (1797–1854) einen Pakt mit dem Teufel eingeht. In der am Donnerstag startenden Neuverfilmung wird sie vom deutschen Jungstar Lilith Stangenberg (33, «Wild») verkörpert.
Stangenberg fühlte sich von der Rolle magisch angezogen. «Mich interessieren immer die gefallenen Engel. Ich mag verlorene Persönlichkeiten lieber als reine Heldinnen», sagt sie zu SonntagsBlick. «In Christine liegt wie in jedem Menschen die Tendenz zum Bösen und zum Guten gleichzeitig. Da ist dieses Besessene, gleichzeitig ist sie eine funkelnde Lichtgestalt.»
Wie aus der Zeit gefallen
Für Stangenberg wirkt Christine wie aus der Zeit gefallen. «Sie ist nicht fromm und nicht verheiratet. Sie ist ein Freigeist, eine moderne, kühne Figur. Ich glaube, zwei Jahrhunderte später wäre sie als Hexe verfolgt worden.»
In der Schweiz ist das Buch seit Generationen Bildungsstoff. Auch Stangenberg, aufgewachsen in Berlin, hat es in der Schule gelesen. «In der 8. Klasse muss das gewesen sein. Und es hatte einen grossen Impact auf meine Gefühle damals. Der Stoff spricht Urthemen an, archaische Ängste, Traumata. Wenn man das einmal in sich reingelassen hat, kann man es nie mehr vergessen.»
Regisseur Markus Fischer (68) liess inhaltliche Änderungen vornehmen. Christine ist nun keine Zugezogene mehr, sondern Hebamme. Sie rettet das Kind vor dem Teufel, nicht der Pfarrer. Für Stangenberg ist dies das Recht eines Künstlers. «Es ist wichtig, dass man eine Interpretation anbietet. Sich von einem Stoff nicht versklaven lässt, sondern dafür sorgt, dass er in der Gegenwart weiterleuchten kann.»
Parallelen zu Corona
Gedreht wurde der Seuchenfilm in einer neuen Seuchenzeit, im Sommer 2020. Parallelen zu Corona sind für Stangenberg klar ersichtlich. «‹Die schwarze Spinne› behandelt ein breites Feld von Themen, die auf vielen Ebenen heute sehr brisant sind. Die Furcht vor dem Fremden, die ewige Suche nach dem Sündenbock. Themen, die man fast eins zu eins auf das Verhalten in einer Pandemie legen kann, auf die Russland-Ukraine-Geschichte oder die Flüchtlingskrise. Gotthelfs Stoff glüht ewig.»
Obschon Stangenberg von 2009 bis 2012 im Ensemble des Schauspielhauses Zürich war, ist in der Dialektversion des Films nicht ihre eigene Stimme zu hören. «Das hat man mir nicht zugetraut, wahrscheinlich auch zu Recht», sagt sie lachend. «Ich hatte dann Hemmungen davor, mich mit einer fremden Stimme zu sehen, weil sie die Stimme einer Schauspielerin ist. Doch vor ‹meiner› Synchronsprecherin Rahel Hubacher kann ich nur den Hut ziehen.»
Eine Frage noch, die auf der Hand liegt – Stangenberg nickt. «Auch ich habe Angst. Letzten Sommer bin ich in Kalifornien einer riesigen Spinne begegnet. Als ich gerade einen Pfad raufspazierte, sass dort ein immenses Exemplar. Ich konnte für zehn Minuten keinen Schritt weiter machen», erzählt Stangenberg. Sie ist überzeugt: «Wir sehen die Spinne als ein Sinnbild des Bösen, weil sie so anders gebaut ist als wir. Unser Widerstand gegen der Spinne ist da, ähnlich wie bei einer Schlange, weil wir uns nicht in ihr spiegeln können.»
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