Mit ihren fetten, schwarzen Beinen hätte sie so manchem einen Schrecken eingejagt – nicht so Markus Fischer (68). Die Spinne hatte es sich in seinem Garten im Sonnenschirm gemütlich gemacht, ein besonders grosses Exemplar. Vorsichtig fängt er die Spinne ein, um sie unbeschadet im Gebüsch freizulassen. Er sagt: «Später ist sie nochmals aufgetaucht und hat Junge bekommen, eine ziemliche Menge.»
Schon der Gedanke an das grosse Krabbeln lässt so manchen vor Ekel erschauern, für den Filmemacher war es eine Inspiration. Dank dieser Begegnung vor bald vier Jahren erinnerte sich Fischer an ein Buch, das er seit seiner Jugend vergessen hatte: «Die schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf (1797–1854). Die beschaulich schaurige Kulisse für das Drama ist das Emmental. Gleich in zwei Zeitepochen treibt eine Spinne ihr Unwesen im Dorf, die achtbeinige Gefahr ist direkt vom Teufel gesandt. Der Pfarrer landete damit einen Monster-Grusel-Bestseller. Daraus wurde für Regisseur Fischer eine Sommerlektüre und schliesslich ein Film. Kinostart ist am 10. März.
Gruseln mit Gotthelf
Einen Gruselfilm wollte Fischer aber keinesfalls drehen. «Das würde dem Werk von Gotthelf nicht gerecht», sagt er. Ausserdem lande man mit einer Riesenspinne auf der Leinwand ziemlich schnell in der Kategorie der B- und C-Movies. Der Regisseur überlegte sich sogar, im Film auf Krabbeltiere zu verzichten.
Aber ohne die achtbeinige Titelheldin ging es dann doch nicht. Der Filmemacher liess sich dafür gar von alten Horrorstreifen und dem Klassiker «Alien 1» inspirieren: «Dort sieht man das Monster fast nie oder nur Schatten davon. Aber man weiss, es lauert irgendwo, in unseren Köpfen existiert es, daraus entsteht Spannung.» Darum hat die Spinne erst in der letzten Sequenz ihren Auftritt, sie wurde gezielt im Kontext eingesetzt und nicht monströs überdimensioniert. Am Ende hegt man gar Sympathie für das schwarze Krabbeltier, in das sich die Hauptdarstellerin Christine verwandelt hat – mit ihren Kulleraugen wirkt die Spinne am Ende mehr putzig als gruselig.
«Der Schrecken soll nicht von der Spinne aus gehen», so der Regisseur. «Tiere sind ja nicht böse, so wie es Menschen sind.» Die Spinne sei nur eine Parabel des Bösen, das geht vielmehr vom Ritter Hans von Stoffeln aus, der die leibeigenen Bauern mit seinen unbarmherzigen Forderungen in die Hände des Teufels treibt. Zwar spielt der Film im dreckigen und düsteren Mittelalter, zugleich wollte man weg von der moralisierenden Frömmigkeit von Gotthelf, hinab in die psychologischen Abgründe des menschlichen Daseins. Dabei wird nicht nur der Spinne eine etwas andere Rolle zugedacht, sondern vor allem auch den Frauen.
Frau als Einfallstor fürs Böse
«Gotthelf hatte offensichtlich Angst vor den Frauen und ihrer Sexualität», sagt Plinio Bachmann (53), der zusammen mit Barbara Sommer (40) das Drehbuch geschrieben hat. «Das symbolisiert die Spinne, die in der tiefen, dunklen Spalte hockt, dort, wo das Weibliche sitzt und das Unkontrollierbare herauskrabbelt. Sie galt im Mittelalter als Feder der Triebhaftigkeit.» Seit dem Sündenfall, als sich Eva von der Schlange verführen liess, gilt die Frau als Einfallstor für das Böse, den Teufel. «Das passt nicht mehr in unsere Zeit», so Bachmann. Darum machte das Autoren-Duo aus Christine, die den Pakt mit dem Teufel eingeht, die Hauptfigur und Hebamme. Im Mittelalter eine ambivalente Figur: «Sie wusste Bescheid über das Gebären und die weibliche Sexualität. Man brauchte sie, zugleich misstraute man ihr, Hebamme und Hexe, das lag nahe beieinander.» Im Film wird aus Christine die Heldin, zuerst ist sie die Retterin: Statt wie im Original der Pfarrer rettet sie das Neugeborene vor dem Teufel – dann wird sie zur Rächerin an den Dorfbewohnern, die sie verraten haben.
Laut der Religionswissenschaftlerin Dorothea Lüddeckens (55) steht die Spinne in vielen Kulturkreisen für eine schöpferische Kraft. «Das erstaunt nicht, wenn man zuschaut, wie kunstvoll und schnell eine Spinne ihr filigranes Netz webt. Das tut sie ganz aus sich heraus, sie braucht nichts dazu, es kommt direkt aus ihr hervor. Genauso wie eine Frau gebärt und neues Leben schafft», so die Professorin von der Universität Zürich. Zugleich steht die Spinne in vielen Kulturen auch für das Böse, Gefährliche, in der altpersischen Religion kann zum Beispiel ein Dämon die Gestalt einer Spinne annehmen. Auch das Netz der Spinne hat etwas Bedrohliches, darin verfängt sich das ahnungslose Opfer, das umgarnt wird. «Spannend ist, wie sich das in unserem Sprachgebrauch festgesetzt hat», so Lüddeckens. Etwa, wenn man jemandem «ins Netz geht».
Grosse Angst vor kleinen Tieren
Festgesetzt hat sich auch die Angst: Bis zur Hälfte der Menschen in Industrieländern empfinden die Achtbeiner als eklig und scheusslich, so richtig Angst haben etwa fünf Prozent der Bevölkerung, Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Spinnenexperte Wolfgang Nentwig (68) sagt: «Es gibt aber auch Menschen, die sich für Spinnen begeistern können, vielleicht stimmt ja mit uns was nicht.» Nentwig war Ökologie-Professor an der Universität Bern, soeben ist sein neues Buch: «Spinnen – Alles, was man wissen muss» erschienen.
Ein allgemeinverständliches Sachbuch, das er mit sieben Kollegen und Kolleginnen geschrieben hat. «Damit möchten wir mit Vorurteilen gegenüber Spinnen aufräumen», sagt Nentwig. Ganze zwei Kapitel widmet er im Buch den Ängsten und Aberglauben rund um das achtbeinige Krabbeltier. Denn ein beachtlicher Teil der Bevölkerung habe nur diffuse Vorstellungen von Spinnen und werde von unbegründeter Furcht beherrscht. «Diese Ängste werden interessanterweise über Generationen weitergereicht und haben Wurzeln bis ins finstere Mittelalter», sagt Nentwig. So war es Paracelsus, damals der renommierteste Mediziner Europas, der im Jahr 1530 Spinnen, Pest, Tod und Teufel in einen ursächlichen Zusammenhang setzte: «Er machte Spinnen direkt für das Vordringen der Seuche verantwortlich.»
Auch auf das Werk von Jeremias Gotthelf geht der Spinnen-Professor ein: «Er griff auf einen weitverbreiteten Aberglauben zurück. Ihm kam dabei zu Hilfe, dass im Emmental gelegentlich fette, schwarze Spinnen herumkrabbelten.» Heute könne man diese als Männchen der Gewöhnlichen Tapezierspinne identifizieren, auf der Suche nach paarungswilligen Weibchen. «In Gotthelfs Erzählung wird allerlei Unglück inklusive der Pest auf menschliches Fehlverhalten, vor allem mangelnde Gottesfürchtigkeit und sexuelle Ausschweifungen, zurückgeführt», so Nentwig. «Oft waren die fehlbaren Personen Frauen.» So wurde ein Zusammenhang zwischen Krankheit und Unglück mit dem Auftauchen von Spinnen verknüpft. Nentwig: «Sie gelten als eklig, gefährlich und giftig, zumindest in der westlichen Zivilisation, das ist ganz anders in Naturvölkern.» Dort werden Spinnen als gottnahe Wesen verehrt, die den Menschen Schutz und Weisheit schenken und ihm die «Kunst des Webens» beigebracht haben.
Menschen stehen nicht auf dem Speiseplan
Woher die grosse Angst vor den kleinen Tieren kommt, konnte laut Nentwig bis heute nicht eindeutig geklärt werden. Es gibt die These, dass Spinnenangst angeboren ist. Ein evolutionsbiologischer Ansatz, der davon ausgeht, dass der Mensch seit der Urzeit lernen musste, gefährlichen Tieren schnell auszuweichen. Allerdings ist Spinnengift weit weniger gefährlich, als oft angenommen wird, für den Menschen ist es harmlos. «Spinnen sind Räuber, sie fressen alles, was sie überwältigen können», erklärt Nentwig. «Menschen stehen aber nicht auf ihrem Speiseplan.» Zu tödlichen Begegnungen kann es jedoch mit Bienen und Wespen kommen – gegen diese gibt es aber keine angeborenen Phobien.
Darum geht man davon aus, dass die Angst kulturell verankert, also anerzogen ist. Allerdings können bestimmte Tiere verstärkt Furcht und Ekel auslösen, nämlich jene, die im Aussehen ihrer Fortbewegung ganz anders als wir Menschen sind. Das trifft auf die Spinne mit ihren acht langen Beinen auf jeden Fall zu. Dabei lohnt es, sich etwas genauer hinzuschauen: Längst nicht alle sind bloss schwarz oder braun, manche sind farbig gezeichnet, andere haben erstaunlich grosse Augen oder drollige Haare, die an Punkfrisuren erinnern. Absoluter Internet-Star sind dabei die Pfauenspinnen, nicht nur wegen ihrer farbigen Zeichnung – dank ihrem spektakulären Paarungstanz haben es die nur ein Reiskorn grossen Spinnen zu Millionen von Klicks gebracht.
Herzogin Kate streichelt Spinnen
Positiv ins Rampenlicht rücken Spinnen auch dank der englischen Royals: Erst kürzlich liess Herzogin Kate (40) bei einem öffentlichen Auftritt eine haarige Tarantel über ihre Hände krabbeln und lächelte dabei so entspannt, als ob sie einen Welpen streicheln würde. Auch ihre drei Kinder fürchten die Achtbeiner nicht, im Gegenteil. «Ich mag Spinnen», erzählte die sechsjährige Prinzessin Charlotte, als sie vor einem Jahr mit ihren Geschwistern den legendären Naturforscher David Attenborough (95) interviewte. Sie liebt Spinnen sogar so sehr, dass sie öfters im Freien auf Entdeckungstour geht, um sie zu beobachten – Mutter Kate begleitet sie dabei.
Wirklich Angst vor Spinnen müssen übrigens nur die Männchen einiger Spinnenarten haben, tatsächlich wird so mancher Verehrer nach dem Liebesakt verschlungen – wenn die Spinnendame besonders hungrig ist, wird das Männchen auch mal zur Vorspeise.
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