Er steigt in den 15 Jahre alten, rot laminierten Anzug, bindet sich Leopardenfliege und Bauchbinde um. Dann kontrolliert Dustin Nicolodi (40) seinen aufgemalten Schnauz, die dick nachgezogenen Augenbrauen und sein geliertes Haar, bevor er die Manege des Circus Knie betritt. Im Dandy-Look der 50er-Jahre, ist er «Der grosse Coperlin». Auch bei der glamourösen Zürcher VIP-Premiere heute Abend.
Der Comedy-Magier ist in seinem Gesamtpaket einzigartig. Seine Zaubertricks misslingen präzise, oder er offenbart sie selbst, seine Witze sind vorhersehbar und sein Englisch grottenschlecht. Genau das ist das Erfolgsrezept des Schweiz-Italieners, der diese Saison für die grossen Lacher im National-Circus sorgt und nicht umsonst als Star bezeichnet wird.
Einst tourte er als Handstandakrobat
An der Premiere in Rapperswil SG im März lockte er auch bei der äusserst kritischen Komik-Legende Emil (91) unzählige Lacher hervor. Dabei unterhielt Nicolodi das Publikum zuerst in einer anderen Sparte. «Wie mein Vater Willer Nicolodi war ich einst als Handstandakrobat unterwegs. Ich wollte schon als Kind sein wie er. Mein Papa ist mein Vorbild», sagt er im Gespräch mit Blick.
Als Handstandakrobat tourte Dustin Nicolodi 2007 erstmals mit dem Circus Knie durchs Land. Als er sich ein Jahr danach an der Schulter verletzte, musste er sich umorientieren. «Mein Vater meinte, mach doch Comedy. Ich hatte davon keine Ahnung, doch er sagte mir, das hätten alle anderen auch erst lernen müssen.» Das Lehrgeld hat der Sohn der Miss Schweiz 1975, Béatrice Aschwanden (70), teuer bezahlt. «Am Anfang hat niemand gelacht. Das war bitter. Oft wollte ich damit aufhören. Doch ich habe weitergemacht. Aufzugeben war für mich noch nie eine Option.» Gelernt habe er vom Publikum. «Irgendwann setzten die Lacher ein. Erst wenige, dann mehr. Ich habe schnell realisiert, dass sie von mir nicht die perfekten Zaubertricks sehen wollen, sondern diejenigen, die misslingen.»
Drama um seine erste grosse Liebe
Noch heute feilt er am perfekten Timing, dem Blick für die zwei richtigen Männer, die er zu sich in Manege nimmt. «Es funktioniert mit ihnen besser als mit Frauen, weil sie direkt in den Wettbewerbsmodus kommen, was eine sehr witzige Dynamik annimmt. Frauen ticken da anders, sie können sich bei mir von ihrem Stuhl aus amüsieren», sagt er lachend.
Nicolodi bezeichnet sich als das pure Gegenteil seiner Las-Vegas-Kunstfigur, die er seit 15 Jahren mimt. Auch 2018 war er als diese mit dem Knie auf Tour. «Coperlin liebt das Rampenlicht, hat keine Berührungsängste. Ich bin privat ein schüchterner Mensch», sagt er, der im Gespräch sehr nahbar und freundlich ist. Dass er wieder mit dem Circus Knie tourt, sei für ihn wie ein «Nachhausekommen.»
Wenn Dustin Nicolodi nach dem letzten Applaus zu seinem Wohnwagen geht, aus seinem rot laminierten Anzug steigt und sich abschminkt, ist er in erster Linie Vater von Justin (3), die beide ein tragisches Schicksal eint. «Zehn Monate nach seiner Geburt nahm sich seine Mutter, meine erste grosse Liebe, das Leben», sagt er mit Tränen in den Augen und erzählt: «Im ersten halben Jahr war trotz Pandemie alles wunderbar. Dann fiel sie in Depressionen. Ich bekam einen Job, und sie hatte Panik, was sie wie mit dem Kleinen machen soll.» Bereits vier Monate vor ihrem Freitod habe sie einen Versuch unternommen, sich das Leben zu nehmen. Das sei im August 2021 gewesen. «Wir fuhren sofort ins Spital. Die Oberärztin wollte allein mit ihr sprechen. Nach einer halben Stunde meinte sie, wir könnten nach Hause.» Eine Erklärung zu dem Gespräch habe er nie erhalten.
Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in Krisen und für ihr Umfeld da:
- Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Telefon 143 www.143.ch
- Beratungstelefon von Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefon 147 www.147.ch
- Weitere Adressen und Informationen: www.reden-kann-retten.ch
Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben
- Refugium – Verein für Hinterbliebene nach Suizid: www.verein-refugium.ch
- Nebelmeer – Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils: www.nebelmeer.net
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In der Dezember-Schicksalsnacht habe Nicolodi gespürt, dass etwas nicht stimmt, auch wenn es da keine Anzeichen gegeben habe. «Ich rief sie zwischen meinen Auftritten immer wieder an, sie klang gut und sagte, Justin habe gegessen, sie habe ihn ins Bett gebracht.» Das komische Gefühl sei bei ihm geblieben. «Vor dem Finale war sie nicht erreichbar. Ich ging sofort nach Hause, das dauerte fünf Minuten. Unser Sohn schlief friedlich. Und sie war tot.»
Ihr Kind hat die Geburt nicht überlebt
Sie seien ein starkes Paar gewesen, das davor einen Schicksalsschlag gemeinsam gemeistert hatte. Während er 2018 mit dem Circus Knie in Basel tourte, war sie hochschwanger. «Während meiner Show bekam sie Wehen. Sie ging sofort ins Spital. Unser Kind war gesund. Doch es hat die Geburt nicht überlebt. Niemand konnte uns eine Erklärung geben, wie so etwas passieren kann.» Auch da seien es seine Familie und die Knies gewesen, die ihnen beigestanden hätten, wie auch in dem Moment, als er die Mutter seines Sohns leblos auffand. «Ich bin dankbar für die Liebe und Hilfe, die ich von ihnen bekam.» Er habe in der Folge drei Monate nicht arbeiten können, seine Eltern hätten sich um den Kleinen gekümmert.
Einen Abschiedsbrief habe seine damalige 33-jährige Lebenspartnerin nicht hinterlassen. «Das schmerzt sehr.» Sein Sohn wisse von der Tragik seiner Mutter nichts, er sei da noch ein Baby gewesen. Auch die Erinnerungen an sie seien bei ihm wohl nur unbewusst da. «Mir ist klar, dass ich ihm zum richtigen Zeitpunkt von seiner Mama und ihrer Geschichte erzählen will und muss. Ich habe mich dazu professionell beraten lassen.»
Kraft schöpft Dustin Nicolodi bei seiner Familie, den Knies, seinem Publikum und seiner neuen grossen Liebe, der australischen Tänzerin Stefanie Macdougall (23), mit der er seit über einem Jahr zusammen ist. «Sie ist grossartig zu Justin und zu mir. Wir sind zu einer neuen Familie zusammengewachsen, was mich sehr glücklich macht.» Gemeinsam würden sie auf die Reise gemäss seinem Credo beim schwierigen Start als Comedian gehen: «Aufgeben ist nie eine Option. Ich will leben, das Beste daraus machen und es geniessen».