Vor wenigen Stunden informierte der Verwaltungsrat der SRG in Bern über die Untersuchungen zu den Belästigungsvorwürfen beim Westschweizer Radio und Fernsehen. Der frühere RTS-Chef und heutige SRG-Direktor Gilles Marchand (59) wurde dabei entlastet und in seiner Position bestätigt. Gleich anschliessend stellte er sich den Fragen von Blick.
Blick: Hatten Sie Angst um Ihren Job in den letzten Monaten?
Gilles Marchand: Was in den letzten Wochen passiert ist, hatte nichts mit Angst zu tun. Sondern mit Verantwortung, mit Zukunft und Vertrauen. Wir hatten gute Diskussionen mit dem Verwaltungsrat der SRG, sehr sachlich und professionell. Schlussendlich war es seine Entscheidung, ob und dass ich bleibe. Es war für mich keine Frage von Angst, sondern ich war in Sorge über die aktuelle Situation und wollte eine möglichst gute Lösung anstreben. Nun müssen wir uns auf die Zukunft konzentrieren.
Aber Sie waren erleichtert, als Sie von den Ergebnissen erfahren haben?
Ja, ich bin erleichtert. Ich habe 2014 eine Fehleinschätzung im Aufsichtsbereich gemacht. Und ich bin erleichtert, dass klar unterschieden wurde zwischen Belästigungstaten und Management-Verantwortlichkeiten.
War es je eine Option, dass Sie von sich aus zurücktreten, um Druck von der SRG zu nehmen?
Eine solche Option ist nie eine Einzelentscheidung. Ich habe die Ergebnisse der Untersuchung abwarten wollen, um diese dann mit dem Verwaltungsrat zu diskutieren. Und der Verwaltungsrat hat schliesslich entschieden, dass ich diesem Unternehmen weiter vorstehe, um es in die Zukunft zu führen.
Kommt jetzt noch eine offizielle Entschuldigung von Ihnen?
Wir haben heute vor der Medienorientierung in einer internen Informations-Veranstaltung unseren Mitarbeitenden gegenüber eine klare Botschaft abgegeben. Wir haben gesagt: Wir bedauern die Fehler, die wir gemacht haben und entschuldigen uns. Wir haben auch erklärt, was wir alles unternehmen, um konkrete Verbesserungen zu erzielen. Wir müssen den ganzen Prozess verbessern und alle einbeziehen. Wir müssen die Nulltoleranz-Politik, was sexuellen und psychischen Missbrauch angeht, nicht nur kommunizieren, sondern auch leben.
Was sagen Sie zum Vorwurf, die zwei Kadermitglieder, die RTS nun verlassen, seien bloss Bauernopfer, um Ihren Posten zu retten?
Das hat nichts zu tun mit Positionen. Die externen Untersuchungen haben alle Verantwortlichkeiten geprüft, und was mich betrifft, hat der Verwaltungsrat entschieden.
Was haben Sie falsch gemacht?
Wir haben 2014 eine Untersuchung gegen einen Kader-Mitarbeiter wegen Belästigungsvorwürfen gestartet, diese Untersuchung aber auf einen zu kurzen Zeitraum festgelegt und nur seine Zeit als Kader überprüft. Wir hätten seine Vergangenheit besser unter die Lupe nehmen müssen, als es Probleme gab. Dies haben wir zu wenig gut erkannt. Was wir in Zukunft besser machen müssen: Tiefer schürfen, weiter zurückgehen. Grundsätzlich haben wir uns wohl zu stark aufs Externe fokussiert, auf unsere medialen und wirtschaftlichen Herausforderungen, und wahrscheinlich nicht genug auf zwischenmenschliche Dimensionen. Wir müssen die Balance zwischen extern und intern wieder verbessern. Und ich nehme mich dabei nicht aus, ganz im Gegenteil.
Was sagen Sie zu den Vorwürfen aus Gewerkschaftskreisen, die nun angeordneten Massnahmen seien viel zu dürftig?
Erstens: Wir haben diesen Prozess mit den Gewerkschaften gestartet. Zweitens: Wir brauchten sehr lange, um diese erste Etappe zu erreichen, weil wir die Untersuchungen möglichst seriös machen wollten. Die Prüfungen gehen weiter, alle 220 Rückmeldungen bei RTS werden weiter untersucht, und auch jene bei RSI. Dieser ganze Prozess ist nicht fertig, er geht weiter.
Ihr Kommentar zu Ihrem früheren Starmoderator Darius Rochebin? Er wurde schwer beschuldigt, nun stellten sich die Anschuldigungen als unbegründet heraus.
Die Experten haben nichts gefunden, was er falsch gemacht haben könnte. Weshalb stand er so im Fokus? Ich weiss es nicht und möchte darüber auch keine Debatte starten. Es ist immer heikel, gegen jemanden Vorwürfe zu erheben und seinen Namen zu nennen, wenn die Lage noch unklar ist. Aber er arbeitet inzwischen in Frankreich, und ich habe nie gehört, dass er zurückkehren möchte. Und wenn es so wäre, wäre dies eine Angelegenheit von RTS und nicht von der Generaldirektion.
In der «NZZ» stand, die Tamedia-Frauen hätten mit ihrem Manifest die Aufmerksamkeit vom Fall SRG abgelenkt und Ihnen so unfreiwillig geholfen. Was sagen Sie dazu?
Ähnliche Themen beschäftigen seit längerem Medienhäuser in ganz Europa. Viele grössere Unternehmen sind mit solchen Problemen konfrontiert. Es gibt unterschiedliche Arten und Weisen, solche Herausforderungen zu lösen. Weil wir dem Service public verpflichtet sind, versuchen wir es mit Akribie und Transparenz.
Das Klima in der SRG bleibt angespannt. Was unternehmen Sie konkret, um Verbesserungen zu erzielen – und sind Sie wirklich der richtige Mann dafür?
Der Verwaltungsrat sagt Ja, dass ich dieses Unternehmen mit meiner Geschäftsleitung durch diese aktuellen Herausforderungen und auch die medialen Dimensionen führen darf und muss. Was wir konkret tun: Interne Vertrauenspersonen in jeder Region definieren. Unabhängige Ombudsmänner und -Frauen, die verfügbar sind für alle Mitarbeitenden. Und wir führen eine Pflicht-Ausbildung für alle auf jeder Stufe ein, um Sensibilität bezüglich solcher Probleme wie Belästigungen zu erreichen. Zudem haben wir bei RTS eine Antisexismus-Charta mit klaren Sanktionen, die wir nun für die ganze SRG prüfen möchten.
Aber Sie verstehen, wenn Ihnen eine Mitschuld an der jetzigen Lage gegeben wird?
Ich habe nie gesagt, dass ich kein Teil dieser Situation sei. Und ich habe stets betont, dass ich mich mit voller Kraft für eine Klärung engagiere und dass Experten die ganze Situation minutiös beleuchten sollen. Ich möchte und kann nicht selber sagen, was ich gut oder falsch gemacht habe.
Gilles Marchand – aufgewachsen in Paris und Nyon VD – studierte Soziologie in Genf. Seine Medienlaufbahn startete 1988 bei der «Tribune de Genève». 1998 wurde er Chef von Ringier Romandie, 2001 übernahm er die Leitung von Télévision Suisse Romande (TSR). In seiner Ära kam es 2010 zur Zusammenlegung von Radio, Fernsehen und Online zu Radio Télévision Suisse (RTS). Im Oktober 2017 folgte er auf Roger de Weck als Generaldirektor der SRG SSR. Marchand ist verheiratet, lebt in Bern und ist Vater zweier Kinder.
Gilles Marchand – aufgewachsen in Paris und Nyon VD – studierte Soziologie in Genf. Seine Medienlaufbahn startete 1988 bei der «Tribune de Genève». 1998 wurde er Chef von Ringier Romandie, 2001 übernahm er die Leitung von Télévision Suisse Romande (TSR). In seiner Ära kam es 2010 zur Zusammenlegung von Radio, Fernsehen und Online zu Radio Télévision Suisse (RTS). Im Oktober 2017 folgte er auf Roger de Weck als Generaldirektor der SRG SSR. Marchand ist verheiratet, lebt in Bern und ist Vater zweier Kinder.