Anatole Taubman (53) ist müde, aber energiegeladen – erschöpft, aber tief ergriffen, als er nur 24 Stunden nach seiner Rückkehr aus der türkischen Provinz Hatay auf der Blick-Redaktion zum Exklusiv-Interview eintrifft. Der Schauspieler hat als Unicef-Botschafter in dem Gebiet Kinder und Jugendliche getroffen, die bei dem fatalen Jahrhundertbeben in der Türkei und Syrien vom 6. Februar 2023 alles verloren haben.
Anatole Taubman, Sie haben in der Türkei Camps besucht, in denen vom Erdbeben betroffene Familien untergekommen sind. Was sind Ihre frischesten Eindrücke?
Ich bin noch immer völlig eingenommen von diesen intensiven Erlebnissen. Sehr emotional. Wenn ich an die vergangenen Tage denke, bekomme ich Gänsehaut und mir steigen die Tränen in die Augen. In Hatay, der Provinz, die am stärksten vom Erdbeben betroffen wurde, ist alles platt. Obwohl die türkische Regierung sich unmittelbar nach den Beben um die Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten gekümmert hat, findet man ein Jahr danach immer noch Berge von Geröll vor. Das Ausmass ist unvorstellbar gross.
Wie muss ich mir diese Camps vorstellen?
Es gibt Container-Camps, in denen die Familien in fixen Strukturen leben und sogenannte «inoffizielle» Camps – die bewohnen hauptsächlich syrische Geflüchtete. Das bedeutet, dass diese Menschen in Zelten leben, aber selber entscheiden, wo sie diese aufbauen. Ihre Grundbedürfnisse sind zwar gedeckt, aber das ist wirklich auch alles. Es ist kalt und aufgrund des Regens sehr schlammig. Ein wirklich hartes Leben.
Warum hat sich ein Teil der Betroffenen entschieden, in diesen Camps unterzukommen?
Sie haben Angst, ihren Boden zu verlieren, darum bleiben sie dort, wo früher ihre Häuser oder Wohnungen standen. Das gilt besonders für syrische Geflüchtete, die in ihrer Heimat alles verloren haben und sich bis vor dem Erdbeben in der Türkei ein Zuhause aufgebaut hatten. Die Container-Camps sind oft nicht dort, wo die Wohngebiete waren, sondern ausserhalb.
Welche Aufgaben übernimmt Unicef?
Unicef stellt sicher, dass die Grundbedürfnisse der Kinder gedeckt sind: Das bedeutet Hygiene, in Form von Wasser und sanitären Anlagen, Sicherheit und Struktur. Es gibt in den Container-Camps, wie auch in den «inoffiziellen» Camps Schulen, Zugang zu Informationen und Anlaufstellen, in denen Helferinnen und Helfer die Kinder mindestens einmal am Tag sehen, um sicherzustellen, dass es keine Anzeichen von Gewalt in jeglicher Form, Mangelernährung oder sonstige Probleme gibt.
Was war Ihr persönliches Ziel mit dem Besuch vor Ort?
Ich habe mir vorgenommen, den Kindern und Jugendlichen 110 Prozent Anatole Taubman zu geben. Mein ganzes Herz, meine Energie, meine Aufmerksamkeit. Ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, war mir ein grosses Anliegen. Neben diesen persönlichen Zielen will ich versuchen, die Eindrücke so wiedergeben zu können, dass Blick-Leserinnen und -Leser verstehen, wie wichtig die Arbeit von Unicef vor Ort ist.
Anatole Taubman gehört zu den national und international erfolgreichsten Schauspielern der Schweiz. Der Sohn jüdischer Eltern wurde 1970 in Zürich geboren, wuchs in London und der Schweiz auf und spricht Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch. Seit 2018 ist er offizieller Botschafter für Unicef Schweiz. Seine Jugend war keine einfache: Taubman wuchs in Pflegeheimen und der Klosterschule Einsiedeln auf, weswegen es ihm wichtig ist, bei seinen Engagements für Unicef auch junge Erwachsene ins Zentrum zu rücken.
Anatole Taubman gehört zu den national und international erfolgreichsten Schauspielern der Schweiz. Der Sohn jüdischer Eltern wurde 1970 in Zürich geboren, wuchs in London und der Schweiz auf und spricht Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch. Seit 2018 ist er offizieller Botschafter für Unicef Schweiz. Seine Jugend war keine einfache: Taubman wuchs in Pflegeheimen und der Klosterschule Einsiedeln auf, weswegen es ihm wichtig ist, bei seinen Engagements für Unicef auch junge Erwachsene ins Zentrum zu rücken.
Welche Erlebnisse haben Sie nachhaltig geprägt?
Das kann ich so einzeln gar nicht sagen. Es ist die Menge an Eindrücken und aussergewöhnlichen Menschen, die ich dort getroffen habe. Besonders die Helferinnen vor Ort, das sind Löwinnen! Sie kämpfen jeden Tag darum, dass Kinder und Jugendliche sicher sind. Sie geben niemals auf. Dann die Gruppe von jungen Erwachsenen, die trotz ihres Schicksals weiter an ihrer Zukunft arbeiten. Positiv, resilient und zutiefst beeindruckend. Als ich sie fragte, was sie werden möchten, nannten ausnahmslos alle Berufe, die der Gemeinschaft dienen, zum Beispiel Krankenpfleger, Ärztin, Polizist, Anwalt oder Kindergärtnerin. Mit den kleineren Kindern habe ich Fussball gespielt und gemalt. Ich bekam an diesem Tag zwölf Bilder mit Herzen, zahllose wunderbare Umarmungen und das Gefühl, allen Kindern wirklich einen unvergesslichen Tag geschenkt zu haben. So wie auch ich die Zeit mit ihnen nie vergessen werde. Sie sind in meinem Herzen und in meinen Gedanken. Für immer.
Was verbindet Sie mit diesen Jugendlichen?
Vieles. Ich bin in Heimen aufgewachsen und auch ich weiss, was es heisst, sich nicht sicher zu fühlen. Das gab mir ein noch tieferes Gefühl der Verbundenheit. Für viele dieser Jugendlichen entstand dieser Zustand in nur 65 Sekunden, als die Erde zum ersten Mal bebte und dem darauffolgenden Erdbeben der gleichen Stärke ein paar Stunden später. Sie haben in diesen wenigen Sekunden ihre Kindheit verloren.
Vor einem Jahr, am 06. Februar 2023, erschütterten gewaltige Erdbeben die Grenzregion zwischen der Türkei und Syrien. Aufgrund der massiven Zerstörung ist die betroffene Bevölkerung seitdem dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen – darunter über zehn Millionen Kinder. Unicef ist nach wie vor im Erdbebengebiet im Einsatz und leistet langfristige Hilfe. In den betroffenen Gebieten setzt Unicef nach wie vor alles daran, dass die betroffenen Kinder und Familien die Unterstützung erhalten, die sie dringend benötigen.
Vor einem Jahr, am 06. Februar 2023, erschütterten gewaltige Erdbeben die Grenzregion zwischen der Türkei und Syrien. Aufgrund der massiven Zerstörung ist die betroffene Bevölkerung seitdem dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen – darunter über zehn Millionen Kinder. Unicef ist nach wie vor im Erdbebengebiet im Einsatz und leistet langfristige Hilfe. In den betroffenen Gebieten setzt Unicef nach wie vor alles daran, dass die betroffenen Kinder und Familien die Unterstützung erhalten, die sie dringend benötigen.
Was sind die Probleme der jungen Menschen dort vor Ort im Speziellen?
Sie mussten grausam schnell erwachsen werden. Denken Sie daran, wie Ihr Leben als Jugendliche war. Da waren so viel Hormone, Unsicherheiten, mal war man verliebt, mal stinksauer auf die Eltern. Dafür gibt es bei diesen Jugendlichen keinen Platz. Sie leben auf engstem Raum ohne viel Privatsphäre mit ihren Familien. Sie haben wenig Perspektiven für die Zukunft, haben kein Zuhause und das wird sich in den nächsten Jahren auch nicht ändern. Dennoch müssen sie viel Verantwortung für ihre Geschwister und Familienmitglieder übernehmen. Und es fehlt an Struktur: Natürlich haben die Kids in den Camps ein Dach über dem Kopf. Aber es fehlt an ausreichend Schulen, Lehrerinnen, an Angeboten, um sich zu beschäftigen. Den Unterricht zum Beispiel müssen sie in Schichten besuchen, da es nicht genug Personal und Platz gibt, dass sie alle gleichzeitig gehen können.
Sie haben selber vier Kinder – sprechen Sie mit ihnen über Ihre Erlebnisse vor Ort in der Türkei?
Mein Sohn ist noch zu klein, um dies alles zu verstehen und einordnen zu können. Aber meine jüngste Tochter hat schon, als ich in der Türkei war, oft angerufen und wollte wissen, wie es mir geht. Mit ihr kann ich mich sehr gut über die Erlebnisse austauschen, da sie sehr sozial engagiert und interessiert ist.
Was nehmen Sie für sich ganz persönlich aus dem Besuch mit?
Für mich ist es unheimlich schwierig, mich in solchen Situationen abzugrenzen. Ich möchte dann am liebsten alles aufgeben und nur noch vor Ort helfen. Es mag abgedroschen klingen, aber ich empfinde wirklich ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit für diese Erfahrung. Dankbarkeit für meine Familie, meine Freunde und mein Leben, aber auch für die Arbeit als Unicef-Botschafter, die mir die Möglichkeit gibt, von hier aus meinen Beitrag zu leisten.
Was kann jeder und jede Einzelne tun, um zu helfen?
Spenden. Es ist so einfach. Unicef gibt nie auf und alle Kinder sind gleich wichtig. Da macht jeder Franken einen Unterschied. Ich habe diese Unterschiede gesehen und es kommt wirklich alles da an, wo es am meisten gebraucht wird.