Ihre einzige Konstante ist die Inkonstanz. Seit ihrem grossen Debüt in «Chrieg» (2014) als widerspenstige Ali verblüfft die in Paris geborene Zürcherin Ella Rumpf (28) mit jeder Rolle aufs Neue. Sei es in der Netflix-Serie «Freud» oder in der HBO-Krimireihe «Tokyo Vice» von Regie-Legende Michael Mann (80). Zusammen mit Luna Wedler (24) ist Rumpf die international erfolgreichste Schweizer Schauspielerin ihrer Generation. Aktuell ist sie im Kino als Influencerin Coco in «Fearless Flyers» und als weltfremdes Mathematik-Genie in «Le théorème de Marguerite» zu sehen. Wie schafft man einen solchen Spagat?
«Ich wiederhole mich höchst ungern», sagt Rumpf. «Es muss mich persönlich reizen, etwas für mich zu entdecken. Und ich will auch Spass an der Arbeit haben. Das ist extrem wichtig. Ich bin an jenem Punkt meiner Karriere angelangt, an dem ich gern verschiedene Dinge ausprobiere.» Rumpf ist eine Schnelldenkerin mit entsprechendem Redefluss, wie sich beim Gespräch mit Blick zeigt. Gleichzeitig wirkt sie verträumt. Zwei derart unterschiedliche Filme gleich nacheinander zu drehen, sei «komplett irr» gewesen. «Und ich habe mich oft gefragt, was wohl passieren würde, wenn sich Coco und Marguerite treffen würden. Käme es zu einer Explosion? Oder würden sich die beiden gegenseitig völlig kaltlassen?»
Eigentlich sollte Rumpf zuerst die Marguerite-Rolle angehen. Dann kam kurzfristig die Anfrage für «Fearless Flyers». «Ich sagte innert dreier Tage zu, versprach Regisseurin Anna Novion aber, am Marguerite-Stoff dranzubleiben, und beschäftigte mich in meinen Drehpausen mit mathematischen Formeln.»
Die Sinnlichkeit der Mathematik
Dem Rechnen konnte Rumpf als Schülerin rein gar nichts abgewinnen. «Ich zweifelte deshalb auch, ob ich die richtige Person für diese Rolle bin. Und lernte den Reiz dann Schritt für Schritt kennen. Mathematiker, mit denen ich mich unterhalten habe, sprachen über eine Formel fast wie über ein Gedicht. Und wenn sie eine Lösung beschrieben, war es, als hätten sie am Strand eine schöne Muschel entdeckt.» Mathematik könne sinnlich sein, erklärt Rumpf. «Und unsere Beraterin Ariane Mézard hat immer wieder davon gesprochen, wie nichtig wir im Vergleich zu diesen Feldern der Unendlichkeit seien.»
Der Film zeigt Marguerites persönliche Entwicklung und wirft ein Schlaglicht auf gesellschaftliche Ungleichheiten. Ihr Doktorvater steht im Film für all jene Männer, die ihre Frauen ausnützen und um ihren Ruhm bringen. «Solche Diebstähle von geistigem Eigentum kommen überall vor – nicht nur in der Wissenschaft, auch in der Literatur oder in der bildenden Kunst. Der Film spricht das Problem an, ohne laut zu werden oder mit dem Finger auf die Männer zu zeigen», sagt Rumpf.
Zentral ist für die Schauspielerin der Aspekt der Gleichstellung. «Auf 40 Männer in einem Mathematik-Studiengang kommt höchstens eine Frau. Und das hat mit Erziehung zu tun. Wir werden in der Schule vorkonditioniert, Frauen seien nicht für die Mathematik bestimmt. Doch es gibt so viele Beweise, dass das Unsinn ist.» Das Problem sei grundsätzlicher Natur: «Es ist schwer, sich durchzusetzen, und es braucht das Vertrauen der Lehrer. Lernen wird gefördert durch Selbstbewusstsein. Das wird vernachlässigt, seit Jahrhunderten.»
Die Angst vorm Fliegen
Rumpf bereitet sich akribisch auf ihre Rollen vor und spricht begeistert über die Ausstattung von «Fearless Flyers». Das spektakuläre Outfit von Coco im Flieger nach Island stammt von der isländischen Designerin Hildur Yeoman.
«Fearless Flyers» handelt von einer Gruppe Menschen, die an Flugangst leiden. Coco als Einzige nicht – sie begleitet ihren Freund, der gleichzeitig ihr Fotograf ist. Rumpf selber steht dem Fliegen kritisch gegenüber. «Aus ökologischen Gründen versuche ich, es möglichst zu vermeiden, was in meinem Job nicht immer einfach ist. Ich habe nur manchmal Schiss, bei Turbulenzen zum Beispiel. Am Tag, als ich für die Dreharbeiten nach Island flog, stürzte tatsächlich eine kleine Maschine ab, ausgerechnet mit einem Influencer und einem Fotografen an Bord. Das hat mich schon beschäftigt.»
Die Liebe zum Kino
Der Umgang mit Social Media wird in «Fearless Flyers» mit der Skepsis betrachtet, die Rumpf teilt. Coco hat 500'000 Instagram-Followers, Rumpf knapp 50'000. «Was sagt das schon aus? Jedenfalls nichts über die Intelligenz einer Person. Manche zeigen komplett banale Dinge. Aber weil das funktioniert, haben sie 500'000 Follower, und bekommen erst noch Geld dafür. In so einer Welt leben wir.»
Die Kinowelt ist Ella Rumpf da entschieden lieber. Sie schwärmt vom Klassiker «Stalker» von Andrei Tarkowski (1932–1986), den sie gerade auf der grossen Leinwand gesehen hat. «Im Kino bekommt er eine ganz andere Dimension als am Bildschirm. Momentan stehe ich auf langsame Filme, denn mein Leben ist zurzeit hektisch.» Ins Kino zu gehen, sei wie ein Dialog auf höherem Niveau. Doch leider gehe die Kinokultur in der Schweiz zugrunde. «In Frankreich ist es noch etwas anders. Dort gehört das Kino zum Kulturgut des Landes. Deshalb lebe ich auch gern dort. Und es gibt eine staatliche Arbeitslosenkasse für Schauspieler. Man weiss noch, was man an ihnen hat.»