Schweizer Filmemacher und ihre Werke haben bei den «Golden Globes» und «Oscars» meistens keinen Stich. Das war einmal anders. Die Zeit, als die Kino-Schweiz nach den Sternen griff, ist direkt mit der Zürcher Praesens-Film AG verknüpft, der ältesten noch aktiven Filmproduktionsfirma, die heuer 100-jährig wird. Ihre grösste Glanzzeit beginnt mit einem Film, der heute aktueller ist denn je. «Marie-Louise» (1944), ein Drama um ein französisches Flüchtlingsmädchen, holt 1946 den Oscar für das beste Drehbuch von Richard Schweizer (1900–1965). Es ist der allererste Academy Award für einen fremdsprachigen Film.
Schweizer ist bei fast allen damaligen Praesens-Hits dabei, ebenso Regisseur Leopold Lindtberg (1902–1984). Sie nehmen die Trophäe in Hollywood mit Lazar Wechsler (1896–1981) entgegen. Der aus Galizien stammende Brückenbauingenieur ist die treibende Kraft. 1924 gründet er das Unternehmen mit dem Flugpionier Walter Mittelholzer (1894–1937). Wechsler ist ein Visionär, der vor Widerständen nicht zurückschreckt. Im Zuge der Geistigen Landesverteidigung gelingen ihm Kassenschlager wie «Füsilier Wipf» (1938) und «Gilberte de Courgenay» (1941), aber auch die Literaturverfilmungen von «Wachtmeister Studer» (1939) oder «Die missbrauchten Liebesbriefe» (1940).
«Marie-Louise» ebnet den Weg
Dank dem Erfolg von «Marie-Louise» öffnen sich Wechsler ab 1946 entscheidende Türen. Das US-Studio MGM kauft nicht nur die Weltrechte des Flüchtlingsfilms, sondern auch jene von «Die letzte Chance» (1945), einem Drama um Militärangehörige der Alliierten, die sich über Italien in die Schweiz retten. Der Stoff weckt den Argwohn der Zensurbehörden. Die Bundespolizei hört Wechsler ab und beschlagnahmt zwischenzeitlich das schon abgedrehte Material. Bis Ende 1945 verzeichnet der fertige Film allein in der Schweiz eine Million Zuschauer.
Wechsler plant jetzt internationale Grossproduktionen und denkt sogar an ein Hollywood-Studio in der Schweiz, finanziert durch MGM-Gelder. Für den nächsten Wurf «The Search – Die Gezeichneten» (1948) um vertriebene Kinder nach dem Krieg holt er prominente Namen. Fred Zinnemann («High Noon», 1907–1997) führt Regie, Montgomery Clift (1920–1966) spielt die Hauptrolle.
«The Search» räumt ab
Während die nominierten Zinnemann und Clift leer ausgehen, bekommen Richard Schweizer und Lazar Wechslers Sohn David (1896–1981) den Oscar für ihre Drehbuchfassung. Dazu erhält auch Kinderdarsteller Ivan Jandl (1937–1987) in der Kategorie «Juvenile Award» einen Oscar. «The Search» ist bis heute der meistausgezeichnete Schweizer Film, nebst den Oscars gibt es auch drei Golden Globes.
Doch dann kommt Sand ins Getriebe. «Claytown», der erste von Praesens in den USA geplante Film, wird aufgrund des McCarthyismus und Kommunismus-Vorwürfen gegen Lindtberg nicht realisiert. Wechsler bricht mit MGM und lehnt sich bei Twentieth Century Fox an. Mit diesem US-Studio bringt er 1949 «Swiss Tour» heraus, ein turbulentes Action-Liebes-Abenteuer mit Stars wie Cornel Wilde (1912–1989), Josette Day (1914–1978) und Simone Signoret (1921–1985) sowie dem erstmaligen Kino-Auftritt von Lilo Pulver (94). Der Zuspruch ist mässig, die Amerikaner verabschieden sich definitiv.
Wieder auf kleinerer Flamme
Das Drama «Vier in einem Jeep» (1951), gedreht in Wien, markiert den Schlusspunkt von Wechslers Humanismusprogramm und seinen Auslandsplänen, holt aber immerhin einen Goldenen Bären an der ersten Berlinale. In der Folge geht er auf Nummer sicher und wendet sich mit den beiden «Heidi»-Produktionen (1952/55) und Franz Schnyders (1910–1993) Gotthelf-Adaptionen «Uli der Knecht» (1954) und «Uli der Pächter» (1955) dem aufkommenden Heimatfilm zu. Als aussergewöhnlich in Erinnerung bleibt die Dürrenmatt-Umsetzung «Es geschah am hellichten Tag» (1958) um den Mädchenmörder Albert Schrott mit seinen Schokolade-Igeln.
Der Kalte Krieg und die nationale Konkurrenz machen Wechsler zunehmend das Leben schwer und Grossaktionär und Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler (1888–1962) zieht sich zurück. Mitte der 1960er-Jahre brechen die Kinozahlen massiv ein, der «Alte Schweizer Film» ist am Ende. 1965 nimmt sich Doppel-Oscar Gewinner Richard Schweizer das Leben, Wechsler zieht sich 1966 aus dem Spielfilmgeschäft zurück. Und die Praesens konzentriert sich danach und bis heute auf die Verwertung, den Verleih und den Vertrieb bestehender und neuer ausländischer Produktionen.
Im Landesmuseum Zürich ist vom 12. Januar bis zum 21. April die Ausstellung «Close-up» zu sehen. Empfehlenswert ist auch das Buch «Heidi, Hellebarden & Hollywood» von Benedikt Eppenberger (NZZ Libro). SRF 1 zeigt jeweils samstags ab 14 Uhr einen Praesens-Klassiker. Und die Solothurner Filmtage bringen vom 17. bis zum 24. Januar ebenfalls eine Jubiläumsreihe.
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