Die Pandemie, so erzählte Herbert Grönemeyer (67) im Interview mit Blick, war für die deutsche Musiklegende der «absolute Supergau». Kurz vor Auftakt musste «Gröni», wie seine Fans ihn nennen, alle Konzerte seiner «20 Jahre Mensch»-Jubiläumstournee absagen, Hunderttausende Tickets zurückschicken, ebenso viele Fans enttäuschen.
«Niederschmetternde» Zeiten, die am Mittwoch im Zürcher Hallenstadion komplett vergessen scheinen. Die Halle ist voll bis auf den letzten Platz, das Publikum ekstatisch und kann es kaum erwarten, Grönemeyer endlich wieder beim Ackern zuzuschauen. Denn wer schon einmal einem Konzert des Bochumers beigewohnt hat, weiss: Grönemeyer kleckert nicht – Grönemeyer klotzt. Und das wird schon vor Konzertbeginn klar: Die Vorband ist ausgefallen. Und wo andere Künstlerinnen und Künstler ihr Publikum jetzt halt warten lassen würden, stemmt Herbert halt mal eine knapp dreistündige Show aus den Bühnenbrettern. Im Rentenalter wohlgemerkt.
Grölen mit Grönemeyer
Das Publikum kann kaum erwarten, dass Gröni endlich loslegt, dass endlich Zeit ist, abzugehen. Doch der Lyriker startet nicht mit einem Knall in das Konzert. Er nimmt an seinem weissen Klavier Platz und spielt die Ballade «Tau» vom neuen Album «Das ist los». Das Publikum hat kollektiv Hühnerhaut. Kurzes Durchatmen, bevor der «Malocher», so nennt man im Dialekt des Ruhrgebiets einen «Büezer», loslegt: Spätestens als die ersten Töne von «Bochum» anklingen, steht das Hallenstadion. Wie ein Presslufthammer bearbeitet Herbert sein Publikum. Hämmert «Männer» und «Was soll das» hinterher. Grölen mit Grönemeyer.
Ganz sanft und demütig wird das Hallenstadion dann, als «Dein Weg» erklingt. Ein Chor aus 12'500 Menschen singt jedes Wort mit und noch bevor Grönemeyer die letzte Taste auf seinem Klavier spielt, applaudiert der Saal – minutenlang, voller Bewunderung. Der Meister kämpft mit seinen Emotionen. Doch Grönemeyer ist schnell wieder Entertainer, spielt mit der Masse, animiert, schafft eine grosse Einheit und – zerreisst sie wieder.
Nicht jedem gefällt der politische Grönemeyer
Denn eines ist und bleibt der Mann, der uns Songs wie «Alkohol» und «Mensch» schenkte: politisch. Herbert Grönemeyer thematisiert, die Klimajugend, die Massnahmengegnerinnen und -gegner während der Coronapandemie und Rassismus. Themen, die nicht jedem, der seinen Feierabend mit Mitgröhl-Liedern und Bier verbringen wollte, schmecken. Tobias (48) sagt es klar: «Für mich ist er ‹mein Herbert› und mit dem Lied «Männer» kann ich mich natürlich total identifizieren, aber das Politische finde ich nicht gut. Er soll Musik machen, auf der Bühne ist er unschlagbar.»
Wiebke (50) sieht das anders: «Entweder, man steht hinter Herbert, seinen Meinungen und Ansichten, oder man ist einfach kein Fan. Das ist ganz einfach.» 12'500 Zuschauerinnen und Zuschauer mögen unterschiedliche Ansichten haben, doch an diesem Abend vereint sie eines: die Freude, die Energie und der unermüdliche Enthusiasmus vom Büezer aus Bochum.