Rocklegende Bob Geldof (69) über die Corona-Krise
«Wir vergessen sehr schnell, wie verwundbar wir sind»

Schon Aids, Ebola und Sars hat er miterlebt. Bob Geldof (69) spricht mit BLICK über Corona und erzählt von seiner Hoffnung, was die Menschen aus der Krise lernen können.
Publiziert: 19.04.2020 um 23:25 Uhr
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Aktualisiert: 08.03.2021 um 20:44 Uhr
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Bob Geldof hat mit seiner alten Band The Boomtown Rats soeben das Album «Citizens of Boomtown» veröffentlicht.
Foto: Getty Images
Interview: Dominik Hug

Er hat Rockgeschichte geschrieben und auf dem Höhepunkt der Hungersnot in Afrika mit Live Aid das grösste Musikfestival aller Zeiten auf die Beine gestellt. Dann war es lange ruhig um Bob Geldof (69). Ausgerechnet während der Corona-Krise meldet sich der irische Hüne zurück. «Ich hoffe, dass wir aus der Krise lernen», sagt er am Telefon aus der Selbstisolation.

BLICK: Wo stecken Sie gerade?
Bob Geldof: Zu Hause, wie die meisten schlauen Leute. Zum Glück habe ich einen Garten, in dem ich mich vertun kann.

Mit den Boomtown Rats haben Sie nach Jahrzehnten wieder ein neues Album veröffentlicht. Es wirkt allerdings etwas surreal, in Zeiten wie diesen über Musik zu sprechen.
Nicht wirklich. Die Leute hören heute wohl sogar noch mehr Musik als sonst. Musik beruhigt das wilde Tier, heisst ein Sprichwort.

Die Platte tönt herrlich nostalgisch.
Nur, wenn man ein alter Sack ist und über die historischen Referenzen an die Bands der 70er-Jahre verfügt. Ist man jung, hat man die nicht. Die Jungen hören unsere Platte und denken: Hey, endlich mal etwas anderes als Ed Sheeran oder Taylor Swift!

Warum haben Sie die Boomtown Rats wieder vereint?
Wir waren immer dann dran, wenn die Gesellschaft turbulente Zeiten durchmachte. Wir fingen Mitte der 70er-Jahre an, damals war die Wirtschaft kaputt, England hatte eine Inflation von 27 Prozent, New York war bankrott, in meiner Heimat Irland herrschte Bürgerkrieg mit 3600 Toten, die Regierung war korrupt.

Und heute?
Haben wir eine globale Pandemie, den Brexit, die Wirtschaft stürzt mit voller Wucht in den Abgrund. Wir haben diesen vulgären Dummkopf Trump im Weissen Haus oder Tech-Milliardäre wie Zuckerberg, welche die totale Kontrolle über die Menschheit anstreben. Wir werden regiert von Mafia-Gangstern wie Putin, totalitären Extremisten wie Xi, religiösen Fantasten wie Erdogan. Sie sollen Ordnung ins Chaos bringen zu einer Zeit, in der mehr denn je Konsens, Kooperation und Kompromissbereitschaft gefragt sind. Die Corona-Pandemie kam übrigens nicht überraschend.

Wie meinen Sie das?
Ich war oft genug in Afrika. Ich habe Aids erlebt, Ebola, Sars. Immer wurden die Ärmsten der Armen dahingerafft. Corona ist schlimm, aber Ebola ist noch viel schlimmer. 2006 nahm ich an einer Gesundheitskonferenz in Toronto teil, schon damals warnten Wissenschaftler davor, dass eines Tages ein Huhn oder ein anderes Tier irgendein Virus ausbrüte, das eine weltumfassende Pandemie auslösen werde. Wären wir Menschen wirklich clever, hätten wir bessere Vorbereitungen getroffen. Aus der Vergangenheit wussten wir doch genau, was Viren wie Sars oder Mers mit uns anstellen können. Wir Menschen meinen immer, wir hätten alles unter Kontrolle. Dem ist nicht so. Die Natur dominiert uns.

Wird Corona langfristige Auswirkungen auf die Menschheit haben?
Nein. Sobald ein Impfstoff da ist, wird alles wieder so sein wie früher. Wir vergessen sehr schnell, wie verwundbar wir sind, wenn die Bedrohung nicht mehr ganz so akut ist. Ich hoffe dennoch, dass wir aus dieser Krise etwas lernen.

Was denn?
Wir müssen als globale Gemeinschaft effektiver werden im Kampf gegen globale Bedrohungen. Sei es Corona, sei es Klimawandel, Terrorismus. Wir erreichen nichts, wenn jedes Land für sich allein vor sich hin wurstelt. Global zu leben, bedeutet nicht nur, amerikanische Serien zu gucken, Kleider aus Asien zu bestellen und nach Griechenland in die Ferien zu fliegen.

Sondern?
Es bedeutet auch, sich den Problemen in den anderen Ländern zu stellen. Denn diese Probleme schwappen immer öfter auch zu uns rüber. Grenzen, das erkennen wir bei Corona, bieten längst keinen Schutz mehr. Es hat auf jeden einzelnen Schweizer Einfluss, dass sich Menschen in China von einem Wildtiermarkt ernähren. Das Grundübel von allem ist und bleibt die Armut. Terrorismus, Pandemien, Flüchtlingswellen würde es nicht geben, hätten wir keine Armut. Terrorismus ist nichts weiter als ein Aufschrei der Armen, die Teil des globalen Wohlstands werden wollen.

Sie tönen wie in den 80er-Jahren, als Sie Live Aid zugunsten der Hungernden in Afrika organisiert haben. Hat sich seither so wenig verändert?
Leider, ja. Die Schere zwischen Arm und Reich war nie so gross wie heute. Schauen Sie ins Silicon Valley. Ein paar wenige dort besitzen Billionen. Das Internet ist kein Werkzeug für Demokratie mehr, denn es wird kontrolliert von einem Kartell der Reichsten. Wir Konsumenten sind selber schuld, dass es so weit gekommen ist: Aus reiner Bequemlichkeit gaben wir unsere Freiheit auf und lassen uns nun kontrollieren, ghettoisieren und manipulieren. Unfassbar! Und auf der anderen Seite des Erdballs suchen dreijährige Kinder auf Abfallbergen nach Nahrung.

Sie werden nächstes Jahr 70. Von Altersmilde ist bei Ihnen nicht viel zu spüren.
Ach, mit 70 wird wohl schon so eine Art Resignation einsetzen. Ich habe Familie, ich fühle mich geliebt. Ich habe genug Geld auf der Seite, um über die Runden zu kommen. Sich sicher zu fühlen, danach streben wir alle. Aber wer sich sicher fühlt, wird auch bequem. Und das ist das Recht der Alten.

Was, meinen Sie, ist der Sinn des Lebens?
Die grösste Herausforderung am Menschsein ist, dass wir im Gegensatz zu einer Kuh auf der Alp über ein Bewusstsein verfügen und uns über dieses auch definieren. Dieses Bewusstsein führt dazu, dass wir zu aussergewöhnlichen Leistungen fähig sind. Anderseits führt es auch zu Eifersucht, Neid, Hass, Krieg. Schafft man es, seine Fähigkeiten voll auszuschöpfen, ohne anderen Leid zuzufügen, hat man seinem Leben beachtlich Sinn verleiht.

Ist Ihnen das gelungen?
Ich arbeite noch dran.

Humanitärer Kämpfer

Bob Geldof wuchs in einer katholischen Familie in der Nähe von Dublin (Irland) auf. Er gründete die Band The Boomtown Rats und landete 1979 mit «I Don't Like Mondays» seinen ersten Hit. 1982 spielte Geldof die Hauptrolle im Kino-Erfolg «The Wall». 1985 organisierte er das Megaspektakel «Live Aid», um Geld gegen den Hunger in Afrika zu sammeln. Gleichzeitig komponierte er die Weihnachtshymne «Do They Know It’s Christmas?». Wegen seines humanitären Engagements wurde Geldof mehrfach für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Privat hatte er mehrere Tragödien zu verkraften: Ex-Frau Paula starb mit 41, Tochter Peaches mit 25 Jahren.

Bob Geldof wuchs in einer katholischen Familie in der Nähe von Dublin (Irland) auf. Er gründete die Band The Boomtown Rats und landete 1979 mit «I Don't Like Mondays» seinen ersten Hit. 1982 spielte Geldof die Hauptrolle im Kino-Erfolg «The Wall». 1985 organisierte er das Megaspektakel «Live Aid», um Geld gegen den Hunger in Afrika zu sammeln. Gleichzeitig komponierte er die Weihnachtshymne «Do They Know It’s Christmas?». Wegen seines humanitären Engagements wurde Geldof mehrfach für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Privat hatte er mehrere Tragödien zu verkraften: Ex-Frau Paula starb mit 41, Tochter Peaches mit 25 Jahren.

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