Herbert Grönemeyer über seinen Super-GAU
«Ich hätte die Wand einschlagen können»

Herbert Grönemeyer ist auch nach über vierzig Jahren Karriere noch immer ein Vollblut-Musiker. Einer, der keine Pause machen will. Mit Blick sprach Grönemeyer darüber, warum ihn die Pandemie fast in den Wahnsinn trieb und wie ihn sein Album rettete.
Publiziert: 23.03.2023 um 00:40 Uhr
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Aktualisiert: 23.03.2023 um 06:56 Uhr
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Herbert Grönemeyer bringt mit «Das ist los» sein erstes Album seit vier Jahren raus.
Foto: Victor Pattyn
Interview: Berit-Silja Gründlers

Herbert Grönemeyer (66) sitzt in seinem Zimmer im Grand Hotel Dolder mit Blick über den Zürichsee. Vor ihm liegen eine Packung Ricola-Zältli und ein paar Ragusa. Klar ist, der Deutsche braucht Zucker und «Öl für die Stimmbänder»: Vor Veröffentlichung seines neuen Albums «Das ist los» wollen alle ein Stück von «Herbi». Doch das stört ihn überhaupt nicht. Bestens gelaunt, tiefsinnig, aber humorvoll stellt sich der «Bochum»-Sänger den Blick-Fragen.

Blick: «Das ist los», Ihr erstes Album nach vier Jahren, kommt am 24. März raus. Sind Sie nach einer so langen Karriere noch nervös?
Herbert Grönemeyer: Ja. Die Mischung ist noch dieselbe, aber der Druck ist ein anderer in Zeiten von Streaming. Da zählen die Verkaufszahlen von Alben kaum noch, dafür ist es wichtiger, was die Leute denken, wie ihnen die Musik gefällt. Ich frage mich immer noch: Habe ich was Neues geschaffen oder werde ich langweiliger, älter und mache nur noch, was ich routiniert kann? Man weiss ja eigentlich auch, wo man sich selbst belügt, wo man sagt: ‹Ich bin ein schlauer Hund, da gehe ich jetzt den einfachen Weg.›

Gehen Sie diesen Weg?
Ich versuche immer, Sachen auszuprobieren, die ich noch nie gemacht habe. Das können Kleinigkeiten sein. «Das ist los» sollte eigentlich ein reduziertes Album werden. Aber wir haben ausprobiert, hatten Spass, und dann kamen ein Orchester dazu, ein Männerchor und elektronische Beats.

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Gendergerechte Musiktexte werden kommen. Da führt kein Weg dran vorbei.
Herbert Grönemeyer
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Die ersten beiden Songs des Albums haben mich erschreckt. Sie sind so ganz anders als das, was man sich von Herbert Grönemeyer gewohnt ist.
Ein Album machen ist für mich wie ein Abend mit Freunden am Esstisch. Da spreche ich ja auch nicht stundenlang über dasselbe. Ich mache eine Platte mit dem, was mir einfällt, was ich ausprobieren will. Ich mache Musik, in die man sich reinbeissen muss. Das war schon bei «Bochum», «Männer» und «Flugzeuge im Bauch» so. Das ist für mich seit jeher die Herausforderung als Künstler, ich will mich selber reizen. Wenn du aufhörst, das zu tun, dann weisst du, dass du aufgegeben hast.

Sie wenden sich im Song «Behutsam» sprachlich an Frauen. Singen von «Retterinnen» und «Heldinnen». Denken Sie, dass sich gendergerechte Sprache auch in der Musik etablieren lässt?
Das wird auf jeden Fall kommen. Da führt kein Weg dran vorbei. Am Anfang stottern Änderungen in der Sprache immer, und wir fangen ja gerade an, uns daran zu gewöhnen. Aber ich glaube, das ist ganz wichtig, um nicht zu sagen elementar. Irgendwann wird das ganz normal für uns sein.

Wie ist Ihr Blick auf das Thema Gleichstellung in der Musikbranche?
Da haben wir noch viel zu tun, wie alle anderen Berufszweige auch. Unsere Szene ist männerdominiert, und ich glaube, dass wir noch einen langen Weg zu gehen haben. Ich bin Gründungsmitglied der deutschen Musikakademie, die wir vor einem Jahr ins Leben gerufen haben. Da war das ein ganz zentraler Aspekt und ist eines der Hauptthemen in den Statuten, dass wir alle Teams gleichgestellt besetzen.

Grosser Grönemeyer

Seit seinem Durchbruch mit seinem Album «4630 Bochum» im Jahr 1984 liefert Herbert Grönemeyer (66) ein Erfolgsalbum nach dem nächsten ab und ist in Sachen Verkaufszahlen und Nummer-1-Platten der erfolgreichste deutschsprachige Künstler. Der im Ruhrgebiet aufgewachsene Grönemeyer nimmt auch in seinem 16. Studioalbum kein Blatt vor den Mund und konfrontiert seine Zuhörerinnen und Zuhörer mit seiner Kreativität. «Das ist los» erscheint am 24. März 2023. Am 31. Mai gastiert Herbert Grönemeyer im Zürcher Hallenstadion.

Victor Pattyn

Seit seinem Durchbruch mit seinem Album «4630 Bochum» im Jahr 1984 liefert Herbert Grönemeyer (66) ein Erfolgsalbum nach dem nächsten ab und ist in Sachen Verkaufszahlen und Nummer-1-Platten der erfolgreichste deutschsprachige Künstler. Der im Ruhrgebiet aufgewachsene Grönemeyer nimmt auch in seinem 16. Studioalbum kein Blatt vor den Mund und konfrontiert seine Zuhörerinnen und Zuhörer mit seiner Kreativität. «Das ist los» erscheint am 24. März 2023. Am 31. Mai gastiert Herbert Grönemeyer im Zürcher Hallenstadion.

Sie sagen: «‹Das ist los› ist der Soundtrack für eine Gesellschaft, die eben nicht nur vor Angst erzittert und sich verschliesst, sondern Mitgefühl lebt, praktisch anpackt und sich gegenseitig unterstützt.» Was meinen Sie damit?
In der Pandemie hat sich die Gesellschaft gespalten, und viele Menschen haben die Situation zu Recht hinterfragt: Soll man sich impfen oder nicht, zum Beispiel. Ich finde es wichtig und selbstverständlich, dass man über verschiedene Ansichten spricht und jeder die haben darf. Schwierig wird es, wenn darunter die gemeinsame Verantwortung leidet. Ich lasse mir nicht zerreden, dass der Grossteil der Menschen enorm solidarisch war.

Wo und wie haben Sie diese Solidarität gespürt?
Wir leben in einer Zeit, in der wir alle komplett am Anschlag sind, jeden Tag unseren Kopf neu justieren müssen. Keiner von uns hat die Wahrheit, und da muss man respektieren, dass andere Menschen andere Meinungen haben. Aber es gibt einen humanitären Geist, und den möchte ich rausstreichen, dessen menschliche Elemente. In solch schwierigen Zeiten müssen wir uns auf die Dinge konzentrieren, die wichtig sind – die menschlichen und stabilen Elemente unserer Gesellschaft. Mich nervt dieses ‹Ja, aber!›. Wir dürfen uns in einer Situation, in der wir ohnehin schon am Anschlag sind, nicht noch gegenseitig zerhacken.

Der Sänger Adel Tawil sprach im Interview mit Blick über die Sucht nach dem Applaus als Künstler, der während der Pandemie wegfiel. Wie erging Ihnen das?
Das ist mir explizit auch so ergangen. Ich mache Musik, seit ich 13 Jahre alt bin, und ich lebe vom Applaus. Für uns Musiker war das so, als hätten wir keine Tankstelle mehr. Wir wollten während der Pandemie unbedingt spielen, und als es wieder möglich war, planten wir die «20 Jahre Mensch»-Tour. Dann bekamen mein Schlagzeuger und ich Corona, und wir mussten 250'000 Tickets wieder zurückschicken. Das war der absolute Super-GAU! Wir hatten uns so gefreut, waren mitten in den Vorbereitungen. Und dann lag ich auf dem Sofa und hörte meiner Band beim Proben zu. Ich hätte die Wand einschlagen können. Das Publikum ist das Lebenselixier für uns Künstler, wenn das wegfällt, zieht einem das den Stecker.

Wie ist denn das Schweizer Publikum?
Ich verbinde mit der Schweiz nur Gutes. Wir haben hier Wahnsinns-Konzerte gespielt. Das Beste ist die Welle, die ihr macht. Als ich das das erste Mal sah, war ich völlig von den Socken und habs überhaupt nicht verstanden. Ich dachte, die Schweizer buhen uns aus. Und dann kam diese wahnsinnig schöne Welle durch das ganze Publikum. Toll! Das macht kein anderes Land!

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