Herbert Grönemeyer im BLICK-Interview gnadenlos ehrlich
«Ich habe getrickst und gelogen»

Er ist der erfolgreichste Sänger Deutschlands. Und auch einer der kritischsten! Herbert Grönemeyer (62) über Jugendsünden, die Angst vor dem Alter und den grassierenden Populismus.
Publiziert: 20.11.2018 um 21:00 Uhr
1/7
Herbert Grönemeyer: «Ich habe in meinem Leben schon viel Blödsinn gemacht.»
Foto: Antoine Melis
Blick_Portrait_2268.JPG
Dominik HugRessortleiter People

Es seien unsichere Zeiten, in denen wir leben, sagt Herbert Grönemeyer (62). Doch das schlägt ihm nicht aufs Gemüt. Der Erfolgssänger, der neuerdings fast nur noch Schwarz trägt, gibt sich beim Interview in einem Zürcher Hotel bestens gelaunt.

BLICK: Herzliche Gratulation! Ihre neue CD «Tumult» ist überaus vielseitig herausgekommen.
Herbert
Grönemeyer: Das freut mich, vielen Dank!

Mit 62 könnten Sie die Leine ja auch ein bisschen lockerer halten.
Nö, das geht bei mir überhaupt nicht. Ich bin der Sturm- und Drang-Typ. Und das verdichtet sich mit dem Alter noch. Ich will immer weiterkommen. Still zu stehen, würde mich kaputt machen.

Warum?
Ich will die Jahre, die mir noch bleiben, sinnvoll gestalten. Es gibt diesen schönen Film «Buena Vista Social Club». Darin sind alle über 80 und noch immer beseelt von ihrer Kreativität. Solche Menschen imponieren mir. Oder der kürzlich verstorbene Charles Aznavour, der mit über 90 noch voller Lebensfreude aufgetreten ist.

Sie wollen mit 90 noch auf der Bühne stehen?
Na ja, so weit gucke ich nicht (lacht). Aber ich hoffe schon, möglichst lange Musik machen zu dürfen. Es ist ein grosses Glück, einen Beruf auszuüben, der es einem ermöglicht, bis ins hohe Alter aktiv zu sein. Das ist ein Riesenschatz, den ich mir bewahren und zwischendurch auch auffrischen will.

Wird das Komponieren schwieriger mit den Jahren?
Auf jeden Fall! Weil man schon so viel gemacht hat. Und weil man zunehmend die Naivität verliert. Aber auch, weil die Nerven nicht mehr so strapazierbar sind. Rockmusik muss polarisieren und provozieren, sie muss Würze haben. Das ist wie mit der Liebe, die muss auch ständig gefordert werden. Und das lange aufrechtzuhalten, wird immer anspruchsvoller. Auch weil man besser erkennt, wenn man pfuscht.

Wie gross ist der Druck, so lange so erfolgreich zu sein?
Gross. Mache ich eine Platte, will ich dafür natürlich auch gemocht werden. Ich mache die ja nicht, weil ich sonst nichts zu tun habe. Ich will mich aber auch selbst herausfordern. Ich erinnere mich genau, wie ich für «Tumult» die ersten Texte schrieb. Ich war ziemlich hochgedreht mit den Nerven.

Auf «Tumult» beschreiben Sie ein bisweilen sehr düsteres Weltbild. Ist es wirklich so schlimm um uns bestellt?
Ja, die Situation empfinde ich zurzeit tatsächlich als sehr nervös. Viele haben Angst vor Terrorismus. Viele sind verunsichert wegen der Flüchtlingsbewegung. Und dann dieser immer weiter verbreitete Populismus! Mich überrascht auch dieser Rechtsrutsch. Wir leben in wirtschaftlich ja eigentlich ziemlich stabilen Zeiten, dennoch werden wir immer anfälliger, uns zurückzuziehen, beziehungsweise andere auszugrenzen. 

Warum ist das Ihrer Meinung nach so?
Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer grösser. Wir haben unheimlich viel Geld in der westlichen Welt, aber das ist nicht mehr gerecht verteilt. Das soziale Gleichgewicht konnten wir ziemlich lange unter Kontrolle halten. Heute können wir das nicht mehr. Viele sind unzufrieden, weil sie nur noch knapp über die Runden kommen. In Deutschland läuft inzwischen jeder Sechste Gefahr, in die Armut zu gleiten. Ihren Frust darüber lassen sie an denen aus, die neu ins Land kommen. Sie entladen ihre Ängste über den Schwächsten. Das ist ungerecht. Denn diese neuen Menschen im Land können nichts dafür. 

Hatten die Menschen nicht schon immer Angst vor Fremden?
Nein. Meine Vergangenheit war geprägt davon, mit Menschen aus anderen Kulturen aufzuwachsen. In den 60er-Jahren sind ganz viele aus der Türkei, aus Griechenland und Polen in den Ruhrpott gekommen. Sie haben mit unseren Eltern die Kohle aus der Wand geholt, den Stahl gewalzt und die Autos gebaut. Diese Menschen haben Deutschland mitaufgebaut. Das war in der Schweiz sicher nicht viel anders. Ich verstehe nicht, weshalb wir nun anfangen, an unseren eigenen Wurzeln zu sägen. Doch genau das wird von gewissen politischen Kreisen angestrebt.

Sie sprechen von der AfD.
Genau. Aber auch von Hetzern wie Donald Trump. Wir werden von ihnen zugeballert mit Hysterie. Gegen das und gegen die – ganz furchtbar! Nichts weiter als absurdes Lärm-Theater! Dabei ist der Mensch gar nicht so, der will dieses Gebelle auch gar nicht hören. Der Mensch sehnt sich nach Harmonie, nach Ruhe und Gemeinschaft. Er will nicht isoliert werden.

Wovon träumen Sie?
Von mehr Menschlichkeit. Ich sehe eine Gesellschaft wie eine Familie, in der ich geborgen leben kann. Geht es einem schlecht in der Familie, sorgt man sich um ihn und schmeisst ihn nicht einfach raus. Das ist auch eigennützig: Ich schlafe besser, wenn ich weiss, dem Bruder geht es gut, als wenn ich einen Zaun um mein Haus hochziehe und alle rundherum als Feinde betrachte.

Was bedauern Sie?
Na ja, ich habe in meinem Leben schon viel Blödsinn gemacht. Ich bin ein Mensch mit viel Fehlbarkeit, ich habe einiges versäumt, manchmal auch getrickst und gelogen. Aber habe ich mal wirklich etwas bedauert, bin ich dafür auch eingestanden und habe mich entschuldigt.

Worauf sind Sie stolz?
Auf meine Kinder, wenn man darauf überhaupt stolz sein kann. Sicher auch ein wenig auf meine Karriere. Wobei ich darüber eher verblüfft bin. Ich rechnete ursprünglich ja nicht mal damit, Sänger zu werden, eher Fussballer. Ich war ein relativ guter Spieler. Vielleicht schaffe ich es mal in die dritte Liga, hoffte ich.

Was wollen Sie noch erreichen?
Ich würde gerne eine Oper schreiben. Ich habe kürzlich in Bochum zum ersten Mal dirigiert, die 41. Sinfonie von Mozart. Das war eine wunderbare Erfahrung. Vielleicht mache ich das in zwei Jahren auch in Luzern. Ich liebe das Gefühl, Neues aus mir herauszuholen. 

Wie spannen Sie aus?
Ganz profan: Ich lese ein schönes Buch, trinke einen guten Wein. Ich meditiere auch. Wenn ich es nicht vergesse. Ich bin sehr gut beim Müssiggehen. Ich langweile mich auch gut. Ich kann problemlos auf dem Sofa sitzen und melancholisch sein oder eine Stunde lang die Zeitung lesen. Irgendwann ist aber auch gut, dann muss ich wieder was reissen. Dann setze ich mich ans Klavier.

Was ist der Sinn des Lebens?
Freundschaften. Abends zusammensitzen und sich auszutauschen. Auf einander zugehen und merken, wie gut man sich gegenseitig tut. Das ist die Schönheit des Lebens. Menschen kennenzulernen, an denen man sich erfreut, ist eine Sehnsucht, die jeder in uns hat und die uns auch trägt. Kürzlich las ich einen Artikel über ein Hospiz. Darin sagte eine Sterbende, dass alles Sinn mache, weil sie geliebt worden war. Im Leben geht es um nichts anderes.

Haben Sie Angst vor dem Tod?
Sicher. Die hat doch jeder. Aber sie bringt nichts, der Tod kommt zu jedem von uns. Niemand kann die Zeit aufhalten. Ich erinnere mich an meinen Vater, der sich auch spät im Leben noch hinreissend fand. Er sagte immer, er sei wie eine grosse Eiche. Er habe viele Narben, auch viele Stürme erlebt, aber er werde immer stärker. Seine Würde wurde mit den Jahren immer kräftiger. Er sagte, irgendwann falle er um, dann seien wir hoffentlich so gross, dass wir selbst starke Eichen geworden sind. Das fand ich ein sehr schönes Bild, wenn auch etwas zu idyllisch.

Garant für Hits

Herbert Grönemeyer wurde 1981 durch seinen Auftritt im Kinofilm «Das Boot» bekannt. Den Durchbruch als Sänger gelang ihm 1984 mit der Platte «Bochum», die er seiner Heimat gewidmet hat. Seither stürmte er mit allen Alben auf Platz eins der Hitparaden. Zu Grönemeyers grössten Hits gehört die Ballade «Der Weg», die er für seine 1998 an Krebs verstorbene Frau Anna (†45) geschrieben hat. Mit «Tumult» erschien soeben Grönemeyers 15. Studioalbum. Am 17. März wird er im Zürcher Hallenstadion auftreten.

Herbert Grönemeyer wurde 1981 durch seinen Auftritt im Kinofilm «Das Boot» bekannt. Den Durchbruch als Sänger gelang ihm 1984 mit der Platte «Bochum», die er seiner Heimat gewidmet hat. Seither stürmte er mit allen Alben auf Platz eins der Hitparaden. Zu Grönemeyers grössten Hits gehört die Ballade «Der Weg», die er für seine 1998 an Krebs verstorbene Frau Anna (†45) geschrieben hat. Mit «Tumult» erschien soeben Grönemeyers 15. Studioalbum. Am 17. März wird er im Zürcher Hallenstadion auftreten.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?