Der britische Komiker John Cleese im Interview
«Sollen humorlose Leute uns diktieren, worüber wir zu lachen haben?»

John Cleese gehörte mit seinen «Monty Python»-Filmen zu den Revoluzzern der Comedy-Szene. Mit Aussagen zur Wokeismus-Debatte hat der Brite kürzlich wieder für Aufsehen gesorgt. Und jetzt spielt er im neuen Film von Skandalregisseur Roman Polanski mit. Ausgerechnet!
Publiziert: 14.01.2024 um 10:08 Uhr
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Aktualisiert: 14.01.2024 um 15:42 Uhr
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Seine Paraderolle ausserhalb des Monty-Python-Universums. In der Rolle des Anwalts Archie Leach in «A Fish Called Wanda» (1988) verfällt Cleese der Kleinkriminellen Wanda Gershwitz (Jamie Lee Curtis) und bezirzt sie mit seinen Russisch-Kenntnissen.
Foto: imago images/Mary Evans
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Laszlo SchneiderTeamlead People-Desk

Auf die sexuelle Revolution folgte Anfang der 70er die komödiantische. Die britische Theatergruppe Monty Python brach die Regeln des konservativen Humors auf und machte die Religions-, Geschichts- und Gesellschafts-Satire quasi über Nacht nicht nur salonfähig, sondern auch zu einem Kassenschlager. An der Speerspitze: John Cleese, heute 84 – und stets Teil der gesellschaftlichen Debatte.

Seit Oktober sorgt Cleese auf dem rechtskonservativen privaten Fernsehsender GB News mit «The Dinosaur Hour» bei vielen für rote Köpfe, indem er sich über das Canceln und die Woke-Kultur amüsiert. Der britische Sender, bei dem er mittlerweile untergekommen ist, wird als Äquivalent zum Trump-nahen Fox gehandelt.

Dass wir uns mit ihm unterhalten wollten, hat aber einen anderen Grund: Roman Polanskis (90) «The Palace». Cleese spielt in der Millenniums-Persiflage, die in Gstaad BE gedreht worden ist, eine der Hauptrollen – einen stinkreichen, 97-jährigen Texaner, der kein Klischee auslässt. Er ruft uns kurz vor Heiligabend an.

Hallo, Herr Cleese!
John Cleese: Hallo! Sie sitzen in Zürich, richtig? Ich liebe Zürich! Bei Ihnen ist alles so gut organisiert. Alles funktioniert! Und im Rest der Welt klappt gar nichts (lacht laut). Die Schweiz scheint ein demokratisches Land zu sein – ich mag es, dass sie Dinge wie Referenden ernst nehmen. Und wissen Sie, was mir sonst noch aufgefallen ist?

Sagen Sie es mir.
Als wir «The Palace» drehten, war ich einige Male im Restaurant essen. Die Schweizer gehen aus dem simplen Grund auswärts essen, um einen netten Abend zu haben. Ich bin mit anderen Hollywoodstars an einem Tisch gesessen. Das hat niemanden gekümmert (lacht). So was erlebt man in anderen Ländern selten. Sie Schweizer setzen die richtigen Prioritäten!

Wenn Sie «The Palace» schon ansprechen ...
(Fällt ins Wort.) Der liebe Roman Polanski hat in vier verschiedenen Sprachen Regie geführt!

Kannten Sie Polanski schon vor dieser Zusammenarbeit?
Ich habe ihn vor vielen, vielen Jahren kennengelernt, als er in London «Macbeth» gedreht hat. Während der Dreharbeiten hat man ihn übrigens angerufen und ihm mitgeteilt, dass seine schwangere Frau Sharon Tate ermordet worden sei. Krass! Wie soll man denn da noch einen Film zu Ende drehen?

Das war 1969.
Richtig. Wissen Sie, Polanski hat etwas unglaublich Liebenswürdiges. Er hat ein so faszinierendes Gesicht. Er hat etwas von einem Nagetier – und ich mag Nagetiere (lacht). Ausserdem ist er irrsinnig klein! Ich wollte ihn teilweise einfach in die Luft heben und in den Arm nehmen.

Wieso denn das?
Weil er alles perfekt haben wollte. Dabei möchte er bloss Filme drehen. Er ist ein Perfektionist. Ich habe ihm sogar ein paar Vorschläge punkto Regie gemacht, die ich lustig fand.

Und?
Er hat sehr höflich abgelehnt.

Sie haben ja auch nicht Regie geführt, sondern spielen einen uralten, sexsüchtigen texanischen Öl-Tycoon, der alle Klischees erfüllt – einer wesentlich jüngeren Ehefrau inklusive.
Nach über einem Jahrhundert Comedyfilmen ist alles ein Klischee. Die Frage ist: Ist es gut gemacht? Auch, wenn etwas vorher schon zigmal bedient worden ist, kann man es immer noch besser machen. Es gibt nun mal gewisse Grundkonstellationen, die lustig sind.

«The Palace» lebt von solchen seltsamen Konstellationen: Der texanische Öl-Tycoon feiert mit einem ehemaligen Pornostar und der russischen Mafia in einem Luxushotel Silvester.
Das ist ja gerade das Witzige an Hotel-Settings: Da kann irgendwer zur Tür hereinspazieren – und niemand fragt sich: «Was macht der denn jetzt hier?»

Die Frage ist aber, ob die Welt untergeht. «The Palace» spielt am Silvestertag 1999. Und «Y2K» verspricht den grossen Knall.
Daran habe ich damals nicht geglaubt – heute scheint mir das Szenario aber nicht mehr so abwegig. Ich glaube nicht, dass unsere Welt noch 20 Jahre überlebt. Wir Menschen werden sie zerstören.

Wie meinen Sie das?
Der Grossteil der Menschheit lebt derzeit nicht in Demokratien, sondern Diktaturen. Es gibt so wahnsinnig böse Menschen, die Krieg führen – und führen werden, um im Endeffekt an der Macht zu bleiben. Solche Leute setzen Experten ein, um uns das Gegenteil der Realität zu verkaufen. Ich sehe keine Hoffnung mehr für uns.

Sie polarisieren mit Ihren Aussagen – und gelten als Gegner der Cancel Culture. Was halten Sie davon, dass Roman Polanski wegen der Vergewaltigung einer 13-Jährigen verurteilt worden ist und darum vielerorts gecancelt wird?
Es ist eine sehr komplexe und schwierige Situation. Und die Handhabung ist von Land zu Land verschieden. Er hat mehrere erfolgreiche Filme in Frankreich gedreht. Natürlich ist jede Art von sexueller Handlung mit Minderjährigen verabscheuungswürdig. Aber nachdem viel Zeit verstrichen ist und die Person viel zur Gesellschaft beigetragen hat und die betroffene Frau möchte, dass die Angelegenheit vergessen wird … Die Kernaussage des Christentums ist schliesslich die Vergebung. Deswegen sollte man Menschen, wenn sie sich gebessert haben, wieder Teil der Gesellschaft sein lassen. Das war mal Teil der britischen Kultur. Aber jetzt wird man von den Medien quasi für schuldig befunden und abgestempelt. Und dann gibt es kein Zurück mehr. Ist der Ruf erst ruiniert, interessiert sich niemand mehr für dich.

Persönlich: John Cleese

John Marwood Cleese (84) ist ein britischer Komiker, Schauspieler, Drehbuchautor und Synchronsprecher. Nach einem Jurastudium an der Universität Cambridge wurde der Sohn eines Versicherungskaufmanns vor allem als Mitglied der Komikergruppe Monty Python berühmt, ausserdem war er mit der Fernsehserie «Fawlty Towers» und Filmen wie «Ein Fisch namens Wanda» erfolgreich. Auch im fortgeschrittenen Alter ist Cleese noch in zahlreichen neuen Produktionen zu sehen. Cleese lebt mit seiner vierten Ehefrau Jennifer Wade (51) 2018 auf der Insel Nevis in der Karibik.

Getty Images

John Marwood Cleese (84) ist ein britischer Komiker, Schauspieler, Drehbuchautor und Synchronsprecher. Nach einem Jurastudium an der Universität Cambridge wurde der Sohn eines Versicherungskaufmanns vor allem als Mitglied der Komikergruppe Monty Python berühmt, ausserdem war er mit der Fernsehserie «Fawlty Towers» und Filmen wie «Ein Fisch namens Wanda» erfolgreich. Auch im fortgeschrittenen Alter ist Cleese noch in zahlreichen neuen Produktionen zu sehen. Cleese lebt mit seiner vierten Ehefrau Jennifer Wade (51) 2018 auf der Insel Nevis in der Karibik.

Es sind in Ihren Augen also die Medien, die Menschen canceln?
Effektiv ja. Heutzutage geht es nur noch um Klicks. Es gibt nur wenige Leute, die wirklich daran interessiert sind, der Wahrheit auf den Grund zu gehen.

Sie geben den grossen Medienkritiker.
Eine Sexstory erzeugt halt viele Klicks.

Nennen Sie mir ein Beispiel.
Etwas total Triviales: Ich habe vor einigen Tagen jemandem folgenden Witz erzählt: «Breaking News: Ein Mann in Newcastle ist vom Fahrrad gefallen und hat sich wehgetan.» Alle fragen: «Und wieso ist das wichtig?» Ich antworte: «Er ist transgender!» Da gerät doch alles komplett ausser Kontrolle. Ich habe versucht, auf Twitter eine Debatte anzustossen, weshalb gewisse Dinge wichtiger sind als andere.

Und was ist dabei herausgekommen?
Dass die Leute momentan einfach nicht zulassen, dass eine Sache wichtiger ist als eine andere. Aber im Leben muss man auf der Grundlage von Prioritäten Entscheidungen treffen.

Und Sie machen sich darüber lustig.
Ja, klar! Ich sage das auch auf der Bühne immer wieder: Du kannst Leute noch so sehr beleidigen – solange sie wissen, dass du sie liebst. Das ist eigentlich schon fast eine Art, mit jemandem eine Verbindung aufzubauen. Es gibt zwei Formen der Beleidigung: die unfreundliche und die liebevolle. Letztere ist total ungefährlich und eine durch und durch gute Sache. Wenn es dir darum geht, jemanden zu verletzen, und nicht darum, lustig zu sein, ist das einfach falsch. Man darf über alles Witze machen – ausser über aufrichtiges, ungekünsteltes Leid.

Auch damit ist bestimmt nicht jede und jeder einverstanden.
Wir müssen uns eine grundlegende Frage stellen: Haben diese Leute überhaupt einen Sinn für Humor? Vor allem Menschen, die alles wörtlich nehmen, verstehen keine Ironie. Wenn man beispielsweise die Übertreibung als komödiantisches Element wählt, nehmen sie das als Tatsachenaussage wahr. Sollten also humorlose Leute Menschen mit Sinn für Humor vorschreiben dürfen, worüber wir lachen dürfen?

Ihr Sinn für Humor hat in den 1970er-Jahren die Comedy-Szene auf den Kopf gestellt. Mit Monty Python kam die politisch unkorrekte Satire auch bei der breiten Masse an. Wäre so etwas heute noch denkbar?
Ich bin lustigerweise gerade an einer Bühnenversion von «The Life of Brian». Vor anderthalb Jahren hatten wir in den USA ein sogenanntes Read-through, sind also den ganzen Text und alle Sketche durchgegangen. Alle Schauspieler, die wir dafür engagieren konnten, haben es geliebt. Ich habe trotzdem gefragt, ob noch jemand einen Tipp habe. Was alle unisono angemerkt haben, war die Stelle, in der ein Mann eine Frau sein möchte. Es ging in keiner Minute um die Teile des Stücks, die mit Religion zu tun haben. Es ging nie darum, dass «The Life of Brian» ein unablässiger Angriff auf die Leute ist, die blind einem religiösen Führer folgen. Man kann heutzutage nicht mehr ahnen, was das Publikum verletzt – oder nicht.

Sie scheinen mit Gegenwind umgehen zu können. Werden Sie etwa gerne kritisiert?
Es ist doch viel schöner, wenn mich Leute in Interviews Dinge fragen wie, wieso ich meine Ehen nicht aufrechterhalten kann, als wenn sie mich nur loben und mir sagen, wie wundervoll ich bin.

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