Bergsteiger-Legende Reinhold Messner (77) sass im Frühstücksraum seines Hotels, als ihn Blick am Telefon erreichte. Er war gerade mit «Nanga Parbat – mein Schicksalsberg» in der Schweiz auf Vortragstournee. Im Interview spricht er über den tragischen Tod seines Bruders am gefährlichsten 8000er der Welt, seine 35 Jahre jüngere Ehefrau, Vergebung und Hoffnung.
Herr Messner, verraten Sie uns Ihr Morgenritual?
Reinhold Messner: Zuerst schlafe ich, solange ich kann. Dann wach ich auf und überlege, wo ich überhaupt bin und was ich hier tue. Dann starte ich in den Tag, zurzeit natürlich mit den Nachrichten, weil ich wissen will, wie es weitergeht auf dieser gebeutelten Erde. Und dann mach ich meine Sache, mit einer genauen Struktur, die ich mir schon vor Jahren zurechtgelegt habe.
Aber irgendwoher muss Ihre Tatkraft und jugendliche Frische doch kommen?
Indem ich das tue, was ich am liebsten tue, und indem ich meine Ideen in Taten und Realitäten umsetze. Ich bin überzeugt, dass das gelingende Leben im Hier und Jetzt der Schlüssel zum Erfolg und Glück ist. Nicht der Rückblick auf ein gelungenes Leben, dann ist es bereits zu spät – sondern im Hier und Jetzt dasjenige zu tun, was ich machen möchte. Ich setze Ideen um. Mich interessiert wenig, was das bringt, mich interessiert nur, ob es geht und ob es gemessen an meinem Perfektionsfimmel richtig ist, was ich mache. Ich habe bis zum heutigen Tag immer Ideen gefunden, die es wert sind, umgesetzt zu werden. Und wenn sie es sind, geb ich sie zum Verwalten weiter an andere Menschen. Denn verwalten liegt mir nicht, das lasse ich machen und bin dann schon wieder unterwegs zur nächsten Idee.
Sie haben letzten Mai in dritter Ehe die gebürtige Luxemburgerin Diane Schumacher geheiratet, die 35 Jahre jünger ist als Sie. Kennengelernt haben Sie sich in einem Ihrer Museen. Ist es auch die Liebe, die Sie antreibt?
Ja, die Liebe ist ein Beschleunigungsmittel, und ich und meine Frau sind auch mein neustes Projekt gemeinsam angegangen. Es ist grossartig, eine Partnerin an der Seite zu haben, die die eigenen Stärken ergänzt. Den Altersunterschied bemerke ich nicht. Ich habe eher das Gefühl, dass Diane mich verjüngt. Entscheidend ist ein gemeinsamer Rhythmus, der es ermöglicht, Visionen umzusetzen. Ich bin der Meinung, dass man in einer Ehe dann am besten zurechtkommt, wenn man gemeinsame Projekte hat. Das kann eine Wanderung sein, ein gemeinsames Essen oder eben die Gründung eines Unternehmens. Unser grosses Projekt haben wir schon vor der Hochzeit begonnen. Es ist die Start-up-Firma Messner Mountain Heritage, mit der wir nun versuchen wollen, die Haltung des traditionellen Alpinismus weiterzugeben.
Sie sind in diesen Tagen mit Ihrem Werk «Nanga Parbat – mein Schicksalsberg» auf Vortragsreise. Auch darin geht es um Liebe, um Bruderliebe. Sie haben Günther bei Ihrer Erstbesteigung 1970 verloren, bei Ihren Auftritten kommt auch diese Tragödie wieder zur Sprache. Sollte man den Schmerz aber nicht irgendwann ruhen lassen?
Ich habe ja nicht nur meine Geschichte zu erzählen, sondern generell die Geschichte des Nanga Parbat. Er hat von 1895 bis heute die spannendste Eroberungsgeschichte überhaupt vorzuweisen. An ihm kann man den ganzen Alpinismus erzählen. Der Begriff «Schicksalsberg» kommt aus den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts, als es zwei grosse Katastrophen mit Dutzenden Toten gab. Er ist ein riesiger, komplexer Berg und der gefährlichste 8000er. Aber er ist wie alle Berge absichtslos und ganz einfach nur da. Das erzähl ich alles. Doch zentral ist natürlich schon meine eigene Erfahrung. Die Besteigung durch die Rupalwand, der Tod meines Bruders, die Anwürfe rund 30 Jahre danach, ich hätte meinen Bruder dem Ehrgeiz geopfert. Dann meine zweite Besteigung solo 1978. Es gibt für mich keinen Berg, der mich so intensiv mit Höhen und Tiefen belastet, aber auch befreit hat. Ich lebe heute in Frieden mit dieser Geschichte. Vor allem, seit wir meinen Bruder gefunden haben, 35 Jahre nachdem er unter eine Lawine gekommen war. Meine ganze Familie ist mit mir zum Nanga Parbat gekommen, um endgültig Abschied zu nehmen. Wir Menschen haben dieses Bedürfnis, und zum Abschiednehmen braucht es die greifbare Erfahrung, wie das Unglück passiert ist.
Wann vermissen Sie Ihren Bruder am meisten?
Das ist ganz interessant: Wenn ich heute in den Dolomiten herumwandere – klettern tu ich auch noch, aber nur noch im unteren Bereich – und an den grossen Wänden vorbeikomme, die wir in den 1960er-Jahren gemeinsam bestiegen haben, taucht in meinem Bewusstsein auf, wie wir damals geklettert sind. Ich sehe ihn dann vor mir – er als junger Mann und ich bin mittlerweile ein alternder Herr.
Wie hat sein Tod Ihre Sicht aufs Leben und den Alpinismus verändert?
Der Tod meines Bruders hat mir klargemacht, dass die Menschen direkt um mich herum – und somit auch ich – sterblich sind und nicht nur die anderen weit weg. Sein Tod hat vor allem meinen Blick auf die Welt verändert: Der Mensch ist zerbrechlich, der Berg unendlich. Und wir sind gut beraten, ihn als Gesetzgeber zu akzeptieren, denn er ist unerbittlich.
Gibt es noch eine alpinistische Herausforderung, die Sie reizen würde?
Nein, nein! Natürlich gehe ich noch auf die Berge. Aber von der reinen, extremen Bergsteigerei hab ich mich schon vor fast zwei Jahrzehnten zurückgezogen. Die letzte grosse Geschichte war die Durchquerung der Wüste Gobi, da war ich 60. Und da hab ich die Entscheidung getroffen: So anstrengende und schwierige Touren mache ich nie mehr. Sonst bringe ich mich selber um. Und das ist nicht das Ziel. Ziel war, an die subjektive Grenze des Möglichen zu kommen, ohne dabei das Leben zu verlieren. Bergsteigen ist für mich die Kunst des Überlebens – dort, wo der Mensch eigentlich gar nicht hingehört.
Reinhold Messner begann 1949 als Fünfjähriger mit dem Bergsteigen. Mit Peter Habeler (79) erklomm er 1978 als erster Mensch den Mount Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff. Er stand von 1970 bis 1986 als Erster auf den Gipfeln aller vierzehn Achttausender und durchquerte die Antarktis, Grönland und die Wüste Gobi. Messner wohnt in seiner Heimat Südtirol und in München (D), hat vier Kinder und ist in dritter Ehe mit der gebürtigen Luxemburgerin Diane Schumacher verheiratet. Entgegen den Klischees ist er kein verbissener Asket: Seine Lieblingsweine sind Pinot noir und Primitivo, sein Lieblingsessen der Hausmannskost-Klassiker Kartoffelblattln mit Sauerkraut.
Reinhold Messner begann 1949 als Fünfjähriger mit dem Bergsteigen. Mit Peter Habeler (79) erklomm er 1978 als erster Mensch den Mount Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff. Er stand von 1970 bis 1986 als Erster auf den Gipfeln aller vierzehn Achttausender und durchquerte die Antarktis, Grönland und die Wüste Gobi. Messner wohnt in seiner Heimat Südtirol und in München (D), hat vier Kinder und ist in dritter Ehe mit der gebürtigen Luxemburgerin Diane Schumacher verheiratet. Entgegen den Klischees ist er kein verbissener Asket: Seine Lieblingsweine sind Pinot noir und Primitivo, sein Lieblingsessen der Hausmannskost-Klassiker Kartoffelblattln mit Sauerkraut.