Bergsteiger-Legende Reinhold Messner (74) über den Klimawandel
«Die Alpen leiden am meisten»

Extrem-Alpinist Reinhold Messner spricht im Interview mit BLICK über die Fehlentwicklungen im Alpinismus, über den Klimawandel und dessen dramatische Auswirkungen, seine persönliche Angst und ein mögliches Leben nach dem Tod.
Publiziert: 29.01.2019 um 23:47 Uhr
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Aktualisiert: 30.01.2019 um 08:54 Uhr
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Reinhold Messner ist 74 und immer noch rastlos. «Es muss ja nicht immer ein Berg sein, in die Weite geht ebenso.» Am 17. und 18. Februar gastiert er mit seinem aktuellen Buch «Wild» in Aarau respektive Zürich.
Foto: dpa Picture-Alliance/AFP
Interview: Jean-Claude Galli

Reinhold Messner (74) ist rastlos. Für sein neues Filmprojekt ist der Südtiroler gerade in den Alpen unterwegs, und mit dem Buch «Wild – der letzte Trip auf Erden» gastiert er im Februar in der Schweiz. Für das BLICK-Interview legt der Abenteuer einen kurzen Halt ein – ohne an Intensität einzubüssen.

BLICK: Die Alpen versinken im Schnee, Lawinen fordern Tote. Ist das jetzt der befürchtete Klimawandel?
Reinhold Messner:
Ich finde die Aufregung über den angeblichen Jahrhundert-Schnee übertrieben. In den 50er-Jahren gab es solche Mengen ständig. Natürlich entstehen so Probleme, mit dem Wild beispielsweise. Doch unter den Lawinentoten sind auch Menschen, die trotz Vorwarnung in die wilde Natur gegangen sind. Lawinen und Schnee hängen mit dem Klimawandel zusammen. Aber wie das genau spielt, wird man erst im Laufe der Zeit herausfinden.

Dann umgekehrt: Wird zu viel Hysterie geschürt?
In den letzten 40 Jahren wurden immer wieder Szenarien heraufbeschworen. Zuerst das Waldsterben, jetzt die globale Erwärmung. Was richtig ist: Die Veränderungen kommen schneller, mit schlimmeren Ausschlägen. In unkoordinierte Hyperaktivität auszubrechen, wäre jedoch falsch. Die Natur ist derart aus dem Gleichgewicht, wir können sie nicht von heute auf morgen reparieren.

Müssen wir die Alpen besser schützen?
Auslöser des Klimawandels sind die Ballungszentren, dort entsteht CO2, nicht im Gebirge. Die Alpen sind unschuldig, leiden aber am meisten. Sie wären einfach zu schützen. Man muss ihnen ihre Werte lassen, Erhabenheit und Gefährlichkeit. Dann wagt sich niemand rauf. Der frühere Alpinismus ist durch Infrastrukturen ersetzt worden, die es erlauben, dort oben Spielchen aufzuführen. Das Bergsteigen ist jedoch kein Spiel, sondern eine ernste Angelegenheit.

Welche Folgen hat diese Entwicklung?
Ich bin gerade über die Alpen geflogen, weil ich einen Film mache über die Entwicklung des Bergsteigens. Auf 3000 Gipfeln, die wir gesehen haben, war niemand. Nur auf dem Matterhorn, dem Monte Rosa und dem Mont Blanc. Dort standen gefühlte tausend Menschen, schwarze Trauben, sehr ungut verteilt. Wir müssen uns Gedanken über die Ausrichtung machen. Der Pisten-Tourismus geht zurück. Wenn Gebiete in diese Richtung investieren, ist das grundfalsch. Die müssen andere Nischen finden. Denn klar ist auch: Ohne Tourismus können die Alpenbewohner nicht überleben, Die kommen sonst ebenfalls zu Ihnen nach Zürich und verstopfen die Strassen.

Extrembergsteiger

Reinhold Messner wurde am 17. September 1944 in Brixen (I) geboren und ist einer der bekanntesten Bergsteiger überhaupt. 1978 bestieg er als Erster den Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff, ebenso erklomm er zwischen 1970 und 1986 alle 14 Achttausender. Messner durchquerte auch die Antarktis, Grönland und die Wüste Gobi. Ursprünglich studierte er Vermessungskunde an der Uni Padua und sass zwischen 1999 und 2004 für die italienischen Grünen im Europaparlament. Der Abenteurer ist zum zweiten Mal verheiratet und hat vier Kinder.

Reinhold Messner wurde am 17. September 1944 in Brixen (I) geboren und ist einer der bekanntesten Bergsteiger überhaupt. 1978 bestieg er als Erster den Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff, ebenso erklomm er zwischen 1970 und 1986 alle 14 Achttausender. Messner durchquerte auch die Antarktis, Grönland und die Wüste Gobi. Ursprünglich studierte er Vermessungskunde an der Uni Padua und sass zwischen 1999 und 2004 für die italienischen Grünen im Europaparlament. Der Abenteurer ist zum zweiten Mal verheiratet und hat vier Kinder.

Wie schätzen Sie die Situation in der Schweiz ein?
Die Schweiz hat relativ intelligente Landwirtschaftssubventionen, damit die Bergbauern bleiben. Die sind Landschaftspfleger und kümmern sich um die Kulturlandschaft. Weiter oben, wo es nur noch Steine und Gletscher gibt, sollten wir die Berge einfach lassen, wie sie sind. Das schreckt die meisten ab.

Worum geht es in Ihrem neuen Buch «Wild»?
Motivationstrainer und Manager haben stets Sir Ernest Shackleton und sein Antarktis-Vorhaben gelobt. Zu Recht, er hat Ungemeines gewagt. Aber er war nicht derjenige, der all seine Leute gerettet hat. Frank Wild war es, der die Leute mit seiner Empathie überzeugt hat, ihr Leben nicht hinzuwerfen. Daraus können wir lernen. Ich glaube nicht, dass ein Manager heute wie ein Shackleton mit breiter Brust vor seine Leute stehen muss, sondern dass er seine Mitarbeiter eher wie ein Wild weiterbringt. Was ich gemacht habe, ist eine Nacherzählung. Ich habe die Expedition ja mit Arved Fuchs 1990 umgesetzt.

Ist Wild Ihr Alter Ego?
Ich habe sehr viel Sympathie für ihn. Aber ich halte grundsätzlich nicht viel von diesen Helden. Wie Tina Turner sang: «We Don’t Need Another Hero» – weder beim Bergsteigen noch in der Abenteurerwelt. Wir hatten Helden genug in den 30er-Jahren, die ihr Leben riskiert haben, besonders in der nationalsozialistischen Zeit.

Wie haben Sie 1990, bei Ihrer Antarktis-Überquerung, das Risiko kalkuliert?
Ich habe mich mehrere Jahre akribisch vorbereitet und in Arved Fuchs einen kongenialen Partner gefunden. Ich vermochte mir aber nicht vorzustellen, wie man solche Extreme überhaupt aussteht. Temperaturen bis 40 Grad minus, Stürme bis 300 km/h. Doch nach drei Wochen begann ich mich wohler zu fühlen und wusste: Wir brauchen bloss die mentale Ausdauer, das durchzuziehen.

Aber sicher empfinden auch Sie manchmal Angst?
Angst kenne ich gut. Wir haben alle einen Selbsterhaltungstrieb. Das ist der stärkste Trieb überhaupt. Sei vorsichtig, geh nicht weiter, sagt eine innere Stimme. Aber ganz langsam, Stück für Stück, gelingt es uns, die eigene Grenze immer weiter zu verschieben und am Ende die schwierigsten Touren solo zu klettern. 

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Nein, diesen Glauben hab ich nicht. Ich bin der Meinung, alle Götter, die wir haben, sind erfunden. Religionen sind eine grossartige Lebenshilfe, aber alle menschengemacht. Doch heisst das noch lange nicht, dass es nicht eine ordnende Kraft über dem Ganzen gibt. Und wenn jemand das als «Gott» bezeichnet, habe ich nichts dagegen. Ich selber stelle mir die Zeit nach dem Tod so vor: Wir lösen uns auf in ein Dasein der Zeitlosigkeit, Unendlichkeit, der totalen Stille und Leere. 

Sind Sie mit dem Alter weiser geworden?
Das würde ich nicht sagen. Doch ich war immer voller Neugierde. Das hat mich beflügelt. So habe ich auch meine Museen aufgebaut. Jetzt geht es weiter, ich mache Filme und erzähle Geschichten. Die Auseinandersetzung zwischen der Natur und den Menschen liegt mir am Herzen. Ich möchte, dass die nächsten Generationen nicht vergessen, was dies bedeutet. Im Zentrum steht der Mensch, der Angst hat vor der Natur und limitiert ist. Nur so gelingen Erfahrungen.

Kürzer treten Sie nicht?
Was Geschicklichkeit und Ausdauer angeht, habe ich meine Ziele runtergeschraubt. Dafür forciere ich die kulturellen Tätigkeiten. Auch wenn mir das fast niemand glaubt: Für mich war es ähnlich befriedigend, ein Museum zu lancieren, wie mit 30 ohne Sauerstoffmaske auf den Everest zu steigen.
Bei mir gehts darum, Ideen umzusetzen. Am Ende zurückzuschauen und zu sagen, ich habe ein gelungenes Leben hinter mir, das ist viel zu spät. Glücklich sind wir nur, wenn wir nicht mehr nach dem Glücklichsein fragen. Solange wir dies tun, sind wir es nicht. Dann sind wir nicht voll bei der Sache.

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