Der Schweizer «Solarexpress» bummelt. Das Ziel der Sonnenstrom-Offensive lautet eigentlich: bis zu 200 alpine Solarkraftwerke und jährlich zwei Terawattstunden Strom. Damit soll die Stromlücke im Winter verkleinert werden. Das Parlament hat dabei viel Zeitdruck aufgebaut: Es werden nur jene hochalpinen Anlagen üppig subventioniert, die bis Ende 2025 mit mindestens zehn Prozent der Leistung am Netz sind. Auch deshalb gibt es an vielen Orten Stress.
Im Dezember wurde an einer Gemeindeversammlung in Saas-Grund ein 120-Millionen-Projekt knapp bachab geschickt. Nur vier Stimmen machten hier den Unterschied.
«Schweizweites Vorzeigeprojekt»
Hoch spannend ist die Lage aktuell in der Gemeinde Surses GR. Im malerischen Val Nandro oberhalb von Savognin will das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) eine Solaranlage bauen. «Ein schweizweites Vorzeigeprojekt», schreibt das EWZ. Auch hier geht es um eine Investitionssumme im niedrigen dreistelligen Millionenbereich.
Gemäss EWZ ist der Standort geradezu ideal für die Produktion von Solarstrom: Die Hänge sind gegen Süden ausgerichtet. Das Areal ist von den bewohnten Gebieten nur wenig einsehbar. Da ein Skigebiet in der Nähe liegt, ist die Landschaft bereits erschlossen. Und aufgrund eines Wasserkraftwerks, welches das EWZ schon im Val Nandro betreibt, gibt es bereits Schächte, in die zusätzliche Stromleitungen verlegt werden können.
Es geht dabei um eine Fläche von 665'000 Quadratmetern, was rund 93 Fussballfeldern entspricht. Darauf sollen 11'032 Solartische gestellt werden, die jeweils acht Solarmodule tragen. Die total 88'256 Panels sollen künftig einen Jahresertrag von 66 Gigawattstunden liefern – was dem Stromverbrauch von mehr als 14'000 Haushalten entspricht. Davon sollen 45,1 Prozent im Winterhalbjahr anfallen.
Auflösung in Aussicht gestellt
Bis vor kurzem gehörte das betroffene Land der Alpkorporation Val Nandro, Graubündens grösster Alp-Genossenschaft. Sie wurde 1970 gegründet und hat den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft. In der Korporation sind die Landwirte vertreten, welche das Land als Weide benutzen.
An der Delegiertenversammlung vom 8. Januar hat die Alpkorporation entschieden, die 66 Hektaren Land an die Gemeinde Surses zu verkaufen – zum symbolischen Preis von 1 Franken.
Pikant dabei: In einem Brief vom 24. November, der Blick vorliegt, hatte die Gemeinde angekündigt, die Alpkorporation aufzulösen, falls sie beim Landverkauf zum Spottpreis nicht mitmacht. War das eine Art der Erpressung?
«Man kann es schon als Druckmittel ansehen», sagt Luzi Thomann (56), Verwaltungsratspräsident der Tourismus Savognin Bivio Albula AG (TSBA). Die Landwirte erhielten nicht wirklich viel für ihr Land. «Sie haben jedoch vernünftig entschieden», findet Thomann, «in der Hoffnung, dass die Stimmbürger das Projekt ablehnen.»
Gemeindepräsident Daniel Wasescha (49) sagt: «Ein gewisser Druck war vorhanden – es war aber keine Drohung.» Er weiss aber auch: Bei einem Nein der rund 30 Bauern wäre das Projekt im engen Zeitplan unmöglich gewesen. «Und es war knapp», so der Gemeindepräsident. Verschiedene angefragte Landwirte der Alpkorporation wollten sich nicht öffentlich zum Vorgehen äussern.
«Uns geht die beste Weide verloren»
Die Alpkorporation wurde beim Bau des Skigebiets von Savognin gegründet. «Es ging darum, dass die Bergbahnen nur mit einem Partner verhandeln müssen», erklärt Wasescha. Üblicherweise seien Bündner Alp-Genossenschaften aber nicht Eigentümer, sondern nur Nutzniesser von Alpflächen. Die Korporation Val Nandro dagegen wurde Eigentümerin einer riesigen Fläche von damals vier Gemeinden. Als 2016 die neun Talgemeinden zur neuen Gemeinde Surses fusionierten, wurden die Besitzverhältnisse nicht angetastet. «Der Boden sollte im Eigentum der Gemeinde sein», sagt Wasescha. «Deshalb haben wir nur einen Franken gezahlt.»
Dass das Land weiterhin der Korporation gehörte, und nicht der Gemeinde, sei ein Versäumnis, so der Gemeindepräsident. Dass es deshalb zur Konfrontation mit der Alpkorporation gekommen sei, liege aber auch am grossen Zeitdruck, den der «Solarexpress» vorgibt.
30'000 Franken will die Gemeinde künftig im Jahr an die Alpkorporation zahlen. Das sei keine Entschädigung für die Nutzung des Lands, sondern lediglich für Durchleitungsrechte und den Weideausfall, betont Wasescha.
Die Solaranlage soll 1,8 Prozent der Alpfläche der Korporation Val Nandro belegen. Den Landwirten wird in Aussicht gestellt, dass ihre Tiere unter den Solarpanels grasen können. Ob das allerdings mit Rindern gut funktionieren wird, ist derzeit noch unklar. «Uns geht die beste Weide verloren», sagte ein Landwirt an einer kontroversen Informationsveranstaltung in Savognin vom 15. Januar.
Dennoch hat sich die Korporation dem Wunsch der Gemeinde gefügt. Daher wird nun die Gemeindeversammlung am 29. Januar die Entscheidung treffen. Der Ausgang hier ist offen. Jedoch hat es die Stimmbevölkerung erst am letzten Sonntag an der Urne abgelehnt, die Wasserrechtskonzessionen der EWZ für die Kraftwerke Tinizong und Nandro schon jetzt über 2035 hinaus zu verlängern – mit über 70 Prozent Nein-Stimmen.
«Das Projekt ist schlichtweg nicht gut für uns»
An der Gemeindeversammlung am Montag will Touristiker Thomann das Wort ergreifen. Denn auch aus Sicht des Tourismus sei die Anlage kein Gewinn. «Die Gäste kommen, um sich zu erholen – nicht, um eine Solaranlage anzuschauen.» Restaurants und Hotels hätten in den letzten Jahren investiert und seien auf eine intakte Natur angewiesen. «Das Projekt ist schlichtweg nicht gut für uns.» Das Maiensäss Radons brauche ein touristisches Gesamtkonzept, keinen Solar-Schnellschuss.
«Ich habe Verständnis für die Sicht der Tourismusorganisation», sagt Gemeindepräsident Wasescha. «Wir werden wohl gewisse Gäste verlieren.» Gleichzeitig gebe es aber auch Touristen, die das Projekt unterstützen. Und das Geld, das die Gemeinde vom EWZ erhalten würde – bis zu 660'000 Franken im Jahr –, soll auch für einen Ausbau der Tourismus-Infrastruktur genutzt werden. «Es ist also nicht nur schwarz oder weiss», betont Wasescha.
«Das Thema ist sehr komplex», sagt der Gemeindepräsident. Grundsätzlich gehe es um ein globales Thema, die Abkehr von fossilen Brennstoffen. «Die Gemeinde Surses kann solidarisch einen Beitrag leisten zu dieser Dekarbonisierung.» Klar gebe es Auswirkungen auf das Landschaftsbild, die Landwirtschaft und den Tourismus. «Auch wir im Gemeindevorstand haben intensiv diskutiert – letztlich sind wir aber überzeugt, dass die Vorteile überwiegen.»