«Es trifft uns am Lebensnerv»
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Oberster Schweizer Wirt:«Es trifft uns am Lebensnerv»

Schweizer Wirtschaft im Ausnahmezustand
Gibts jetzt Massenkonkurse?

Risikogruppen gibt es auch im Geschäftsleben: Die Corona-Krise trifft fast alle Sektoren. Das Angebot sinkt, der Konsum bricht ein. Die Wirtschaft steht vor einer riesigen Herausforderung.
Publiziert: 14.03.2020 um 23:47 Uhr
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Aktualisiert: 15.03.2020 um 19:47 Uhr
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Produktionsstopps, Nachfrageeinbrüche, Entlassungen und Konkurse – das Coronavirus zieht eine Schneise der wirtschaftlichen Verwüstung nach sich.
Danny Schlumpf

Nachfrageeinbrüche, Produktionsstopps, Entlassungen und Konkurse – das Coronavirus zieht eine Schneise der Verwüstung durch die Ökonomie sämtlicher Kontinente. «Wir sind mit einer neuen Weltwirtschafts- und Finanzkrise konfrontiert», sagt Marc Chesney (60), Professor am Institut für Banking und Finance der Uni Zürich.

China liegt am Boden, Italien macht die Schotten dicht, die USA rufen den Notstand aus. Und die Schweiz? Am Freitag verbot der Bundesrat sämtliche Veranstaltungen mit mehr als 100 Personen, ab Montag bleiben die Schulen geschlossen.

«Ein weiterer Schock für die Schweizer Wirtschaft», findet Adriel Jost (34), Chefökonom des Beratungsunternehmens Wellershoff und Partners. «Er verschärft die ohnehin schon dramatische Lage. Denn wir stehen bereits unter dem doppelten Schock einer angeschlagenen Weltwirtschaft und eines schlingernden Binnensektors.»

Man sollte mit zwei Monaten rechnen

Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff (58) warnt: «In den nächsten Wochen dürfte der Ausnahmezustand herrschen. Wir steuern in eine Rezession.» Geschlossene Hotels und Restaurants, verwaiste Kinos und Zoos, stillgelegte Skilifte und Bergbahnen, leere Stadien und Kirchen – die Schweiz geht in den Ruhemodus.

Nimmt man die Entwicklung in China als Massstab, ist mit einer Dauer von mindestens zwei Monaten zu rechnen. «In dieser Zeit wird die Wirtschaft enormen Schaden nehmen», sagt Raiffeisen-Mann Neff. «Das Leben der Menschen steht allmählich still – und damit auch ihr Konsum. Am Ende wartet das Extremszenario einer zu Hause abgeschotteten Individualwelt.»

Dass die Menschen in Homeoffice oder Quarantäne ihren Konsum lediglich verlagern, glaubt der Ökonom nicht. «Sie werden nicht auf Teufel komm raus Bestellungen im Internet tätigen und den ganzen Tag essend und trinkend vor dem Fernseher oder mit Spielen verbringen. Der Konsum verschiebt sich nicht, sondern geht zurück.»

Auf den Einbruch des Angebots dürfte ein Nachfrageschock folgen, der immer mehr Branchen mit sich reisst: Uhren- und Luxusindustrie, Event-Anbieter, Gastronomie, Hotellerie, Reiseunternehmen und Fluggesellschaften.

Swiss streicht über die Hälfte aller Flüge und beantragt Kurzarbeit fürs fliegende Personal. Mehr noch: Die Airline fordert staatliche Unterstützung, wie Swiss-CEO Thomas Klühr (57) im Interview mit SonntagsBlick sagt (Seiten 14/15) «Wenn die Anzahl Länder, die wir nicht mehr anfliegen können, weiter steigt, zwingt das uns, alle Flugzeuge am Boden zu lassen.»

Den jüngsten Nackenschlag kassierte die Fluggesellschaft am Mittwoch, als US-Präsident Donald Trump (73) ein Einreiseverbot für Europäer verfügte. Der Entscheid trifft die gesamte Exportnation Schweiz – besonders die Pharma-industrie, die bislang von den Auswirkungen des Coronavirus verschont blieb.

«In jedem Winkel der Schweizer Wirtschaft gibt es irgendeinen Bereich, der vom Coronavirus betroffen ist», sagt Raiffeisen-Chefökonom Neff. In den nächsten Monaten werde sich dies verschärfen. «Bei vielen Firmen stellt sich die Frage: Wie lange hält ihre Substanz?»

Ein historischer Schock

Seit Montag drehen auch die Finanzmärkte im Krisenmodus, weltweit brechen die Börsenkurse ein. «Es ist ein Schock, den wir in dieser Art noch nie erlebt haben», sagt Aymo Brunetti (56), Volkswirtschaftsprofessor an der Uni Bern. Im Zentrum der Krise stehen die Banken. Die Aktien von UBS und Credit Suisse sind unter die Tiefstände des Finanzcrashs von 2008 gefallen.

Woher kommt dieser Vertrauensverlust? «Das Business der Banken ist Verschuldung», sagt Bankenprofessor Marc Chesney. «Bis zur Corona-Krise haben sie reiche Kunden mit Krediten angelockt. Die konnten damit noch mehr in die Börse investieren und noch stärker von steigenden Kursen profitieren.» Das funktioniere aber nur, solange die Kurse steigen und diese Kunden ihre Schulden bezahlen. «Damit ist jetzt Schluss. Es kommen Kreditausfälle auf die Geldhäuser zu.» Und zwar nicht nur vonseiten reicher Kunden – die Banken sind auch Kreditgeber kriselnder Firmen. Brunetti warnt: «Die grösste Gefahr für die Banken geht von Massenkonkursen von Unternehmen aus. Dieses Risiko steigt mit der Dauer der Krise.»

Nach dem Finanzcrash von 2008 wurden die Regulierungsmassnahmen verschärft. «Aber die Grossbanken sind immer noch too big to fail», sagt Chesney. «Die Bürger tragen die Risiken des Coronavirus, und als Steuerzahler haften sie auch für die Kosten einer möglichen Rettung dieser Banken.»

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Stündlich neue Gesuche für Unterstützung

Mittlerweile fordern auch hartgesottene Marktanhänger staatliche Unterstützung. Am Freitag hat der Bundesrat acht Milliarden Franken für Kurzarbeitsentschädigung gesprochen, weitere zwei Milliarden an Darlehen und Überbrückungshilfen für besonders betroffene Unternehmen. Schon seit Anfang März nehmen die Kurzarbeitsgesuche im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in allen Kantonen zu.

Im Kanton Zürich haben bis jetzt 330 Firmen Anfragen für insgesamt 6176 Angestellte eingereicht, im Kanton Luzern sind es 128 Firmen mit 5000 Beschäftigten. «Wir erhalten stündlich neue Gesuche», sagt Regula Marti vom Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau. Dort haben sich bislang 38 Firmen gemeldet.

Sind die Massnahmen des Bundesrats die richtigen? «Kurzarbeit hat in der Finanzkrise gut funktioniert und wird das wohl auch jetzt tun», sagt Marco Salvi (50), Ökonom von Avenir Suisse. «Wichtig ist, dass der Staat hier flächen- deckend und neutral agiert – also nicht die eine oder andere Unternehmensgruppe bevorzugt.»

Grüne drücken aufs Tempo

Damit temporär Angestellte, Freiberufler oder Selbständige staatliche Unterstützung erhalten können, soll die Verwaltung bis Freitag Vorschläge unterbreiten. Den Grünen dauert das zu lange: Sie wollen das Thema bereits an der Sondersitzung der Wirtschaftskommission am Dienstag zur Sprache bringen; am Donnerstag könnten die Räte dann über eine Lösung abstimmen. Nationalrätin Franziska Ryser (28, SG, Foto): «Der Grund, warum das Parlament noch tagt, ist ja, dass wir unseren Beitrag zur Krisenbewältigung leisten können!»

Damit temporär Angestellte, Freiberufler oder Selbständige staatliche Unterstützung erhalten können, soll die Verwaltung bis Freitag Vorschläge unterbreiten. Den Grünen dauert das zu lange: Sie wollen das Thema bereits an der Sondersitzung der Wirtschaftskommission am Dienstag zur Sprache bringen; am Donnerstag könnten die Räte dann über eine Lösung abstimmen. Nationalrätin Franziska Ryser (28, SG, Foto): «Der Grund, warum das Parlament noch tagt, ist ja, dass wir unseren Beitrag zur Krisenbewältigung leisten können!»

Daniel Lampart (51), Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), nimmt die Arbeitgeber in die Pflicht: «Wir erwarten, dass sie die Kurzarbeit nun auch anwenden, anstatt Leute zu entlassen. Wir wissen von Fünfsternehotels, die Mitarbeiter mit Stundenlohnverträgen auf die Strasse gestellt haben.»

Und die Notenbanken? Sie sind mit ihrem Latein am Ende. Letzte Woche beschloss die Europäische Zentralbank (EZB), die Zinsen nicht weiter zu senken. Am nächsten Donnerstag präsentiert die Schweizerische Nationalbank ihre geldpolitische Lagebeurteilung.
Bloss: «Die Zentralbanken können ohnehin nichts mehr tun», sagt Martin Neff. «Es gibt keinen Notausgang.»

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Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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