Oben ohne sitzt Andrew Tate (35) vor der Kamera und pafft eine Zigarre. «Wenn ich mit einer Frau zusammen bin, muss sie mir gehorchen», sagt er genüsslich. Während des gesamten Interviews massiert ihm eine Frau den Rücken. Tate fährt fort: «Viele Leute glauben, dass Frauen individuelle Wesen sind. Dabei sind sie formbar. Durch uns Männer.»
Es sind nicht mehr die Tiefen dubioser Internetforen, in denen sich Videos wie dieses massenhaft verbreiten. In den vergangenen Tagen haben die Clips des amerikanisch-britischen Influencers und ehemaligen Kickboxers Instagram und Tiktok geflutet: Tate, der seinen Frauen verbietet, in Clubs zu gehen. Tate, der sagt, dass Frauen ihm gehören. Tate, der jetzt in Rumänien wegen Menschenhandels verhaftet wurde.
Der Hass auf Frauen
«Andrew Tate ist eine typische Figur der Szene, die er repräsentiert», sagt Sozialpsychologe Rolf Pohl (71). An der Universität Hannover lehrte und forschte er jahrelang zu den Themen Männlichkeit und sexualisierte Gewalt.
Die Szene bestehe hauptsächlich virtuell und setze sich aus unterschiedlichen Gruppierungen wie zum Beispiel den Verführungskünstlern (sogenannte Pick-up Artists) oder der Incel-Bewegung (einer Internet-Gruppe von heterosexuellen Männern, die sich als Verlierer der Gesellschaft betrachtet, weil sie keine Partnerin haben), zusammen. Das verbindende Element der Szene: «Hass auf Frauen», sagt Pohl.
Figuren wie Tate gebe es immer wieder, doch sei er derzeit die erfolgreichste. «Männer wie Tate verkörpern, was ein junger Mann dieser Szene werden will: ein sogenannter ‹Alpha›. Ein Mann also, der die Frauen kriegt, Dominanz ausstrahlt, Geld hat.» Wie Tate halt, der Bilder aus seiner Villa, im Privatjet oder im Porsche postet.
Ob Tate oder der umstrittene kanadische Psychologe Jordan Peterson (60), gemäss Pohl nutzen fast alle Männer der Szene dasselbe Vokabular und teilten dieselbe Weltanschauung. «Sie unterteilen die Gesellschaft in Alphas, Betas, und so weiter. Also in Gewinner und Versager. Und noch wichtiger: Sie wünschen sich das alte, dominante Männlichkeitsbild zurück.»
Die Gesellschaft verändert sich
In den letzten Jahren haben sich die klassischen Rollenbilder immer mehr aufgelöst. Frauen sind zum Glück gleichberechtigter geworden, viele Männer orientieren sich neu und finden sich gut zurecht, sagt Pohl. Doch bei anderen Männern sorge die sich verändernde Gesellschaft für Unsicherheiten. Vor allem bei jungen Männern, die oft im Internet sind, ist dies der perfekte Nährboden, um radikales Gedankengut zu verbreiten und mit Frauenverachtung das grosse Geld zu verdienen.
Aus dem Wunsch heraus, die Unsicherheit zu bekämpfen, sucht sich die Szene ein Feindbild: die selbstbestimmten Frau, wegen der die Welt aus den Fugen geraten sei. «Die Szene reduziert Frauen darauf, Besitztum der Männer zu sein», sagt Pohl. Ein Versuch, um die Dominanz zurückzuerlangen. Frauenhass, verpackt in schillernde Instagram-Posts voller Geld und Erfolg, in denen Tate seinen Followern vormacht, wie ihr Leben sein könnte.
In Rumänien laufen derzeit Ermittlungen gegen Tate wegen Verdacht auf Menschenhandel und Vergewaltigung, wie mehrere britische Medien berichteten. In manchen seiner Videos bezeichnet Tate Frauen als «betrügende Huren» oder erzählt, wie man sie beim Sex behandeln sollte. Doch nicht in allen Videos ist seine Einstellung deutlich ersichtlich – manchmal gibt er einfach auch generelle Lebenstipps oder Ratschläge zum schnellen Reichtum. Was mit ein paar Witzen und Videos beginne, könne in tatsächliche Gewalt an Frauen gipfeln, sagt Pohl.
Je radikaler, desto gefährlicher
«Je tiefer man in die Szene eintaucht, desto gewaltvoller werden die Inhalte und desto eher gewöhnt man sich daran», sagt Pohl. Eine brandgefährliche Entwicklung: So teilen viele Incels die Ansicht, dass Frauen eingesperrt oder getötet werden dürfen, wenn sie ihre Aufgabe als Objekt des Mannes nicht erfüllen.
Beim norwegischen Massenmörder Anders Breivik war die Wiederherstellung der männlichen Dominanz ein zentrales Motiv seiner Tat. Auch der Attentäter in Halle dokumentierte im Netz seine Absichten: Er fürchtete eine Überbevölkerung durch Muslime. Schuld daran gab er dem Feminismus und den deutschen Frauen, die nicht mehr gleich viele Kinder wie früher kriegen oder Familien gründen wollen. «In den Biografien der Täter sticht eindeutig heraus, dass sie darunter leiden, keine Beziehung zu führen oder bei Frauen abzublitzen», sagt Pohl.
Twitter hatte den Account Andrew Tates bereits 2016 gesperrt, nachdem er im Zuge der #MeToo-Bewegung getwittert hatte, Frauen müssten bei einer Vergewaltigung Verantwortung dafür übernehmen. Auf Tiktok generieren seine Videos Milliarden von Klicks, obwohl Tate selber gar keinen Account hat – seine treue Fangemeinde verbreitet die Clips für ihn. Viele Aktivistinnen und Aktivisten fordern nun eine bessere Regulierung von Tates Content vonseiten der Social-Media-Plattformen Instagram und Tiktok.