Diesem Mann glaubt man sofort, dass er auf einem Bauernhof aufgewachsen ist: Jean-Marc Charrière (39) ist ein bodenständiger Typ wie aus dem Bilderbuch. Als 18-Jähriger übernahm er den Familienbetrieb, molk fortan Kühe und schickte Kälber zum Metzger.
Bis er nicht mehr konnte – und schliesslich auch privat keine tierischen Produkte mehr konsumierte: «Ich bin aus Liebe zu Tieren Bauer geworden und habe aus demselben Grund aufgehört.»
Veganer stehen oft im Verdacht, Städter ohne eine Ahnung von Nutztierhaltung zu sein. Bei Charrière ist es anders: «Ich kenne die Branche und weiss, wovon ich spreche.»
Werbung kreiert ein falsches Bild
Grüne Weiden, Kühe, die sich geruhsam ins Gras fläzen und in die Sonne blinzeln: Das Bild der hiesigen Landwirtschaft wirkt – natürlich auch in der Werbung – romantisch und tierfreundlich. Charrière verneint: «Das stimmt nicht. Gerade männliche Kälber sind ‹Abfall› der Industrie.»
Er müsse oft an sein erstes Kalb «Gus» denken: «Es wehrte sich beim Gang in den Schlachttransporter zwar nicht, aber ich sah die Angst in seinen Augen.» Der einstige Milchbauer spricht von «systemischer Gewalt», nennt etwa künstliche Befruchtung und Enthornung. Nehme man Muttertieren die Kälber weg, würden sie oft regelrecht weinen.
Die Hürden für eine Umstellung des Hofs oder den Ausstieg seien allerdings hoch: «Oft gibt es Druck von der Familie. Und es stellt sich die Frage, wie man sein Geld verdienen soll. Ich hatte ja nur einen Lehrabschluss als Landwirt. Man ist in dem System gefangen!»
Harter Ausstieg aus der Milchwirtschaft
Dennoch wagt er eines Tages den Schritt aus der Milchwirtschaft. Im Dorf hagelt es böse Sprüche. Zehn Jahre schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durch, beginnt schliesslich ein Studium und damit, seine Geschichte aufzuschreiben.
Vor einer Woche erschien sein Buch «Les vaches pleurent» (die Kühe weinen). Ein Blick hinter die Kulissen der Höfe. Inzwischen ist er Aktivist der radikalen Meeresschutzorganisation Sea Shepherd und Sozialpädagoge.
«Heute würde ich auch auf tierlose Landwirtschaft umsteigen – aber zu meiner Zeit gab es dafür weder externe Hilfe noch die Nachfrage nach veganen Produkten.»