«Wir haben keinen Plan B»
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Luftwaffen-Chef räumt ein:«Wir haben keinen Plan B»

Luftwaffen-Chef Bernhard Müller (63) wirbt für neue Kampfjets
«Wir haben keinen Plan B»

Am 27. September stimmt die Schweiz über den Kauf neuer Kampfflugzeuge ab. Für die Luftwaffe geht es dabei um alles oder nichts, betont deren Chef Bernhard Müller im BLICK-Interview. Doch er gibt auch zu: Die Vorlage hat einen Haken.
Publiziert: 19.07.2020 um 23:32 Uhr
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Aktualisiert: 07.09.2020 um 12:34 Uhr
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Daniel Ballmer

Für Luftwaffen-Chef Bernhard Müller (63) ist es der wohl wichtigste Kampf in seiner langen Militärkarriere: Am 27. September stimmt die Schweiz über neue Kampfflugzeuge ab. Dabei gehe es für die Luftwaffe um Sein oder Nichtsein, werden Verteidigungsdepartement (VBS) und Armee nicht müde zu betonen. Eine erneute Niederlage wie bei der Gripen-Abstimmung von 2014 soll unbedingt verhindert werden.

BLICK: Herr Müller, sehen Sie sich schon nach einem neuen Job um?
Bernhard Müller: Wie kommen Sie auf eine solch verrückte Idee?

Armee und Verteidigungsdepartement weisen seit Monaten darauf hin, dass es an der Urne um die Zukunft der Luftwaffe geht. Bei einem Nein wäre Ihr Job demnach hinfällig.
Wir planen für die Zukunft nach 2030. Bis dahin haben wir die Mittel zur Wahrung der Lufthoheit, der Souveränität unseres Staats und zum Schutz der Bevölkerung. Die Frage ist: Was ist nach 2030?

Damit sind wir schon mitten in Ihrer Argumentation für neue Flugzeuge.
Die Flugzeuge sind seit über 20 Jahren in Betrieb und haben noch zehn Jahre vor sich. Wir versuchen sie so zu nutzen, dass wir mit allen das Jahr 2030 erreichen. Doch dann ist die zertifizierte Lebensdauer abgelaufen. Wollen wir danach noch eine funktionierende Luftwaffe haben, müssen wir jetzt den Beschaffungsprozess starten. Denn dieser dauert rund zehn Jahre. Bundesrat und Parlament sind daher zum Schluss gekommen, dass die Erneuerung der Luftverteidigung prioritär ist – im Rahmen des ordentlichen Armeebudgets wohlgemerkt.

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Schon beim Gripen hiess es, ohne den Flieger sei die Luftverteidigung nicht mehr zu gewährleisten. Es ging doch. Jetzt tönt es wieder gleich. Warum sollen wir das noch glauben?
Das habe ich anders in Erinnerung. Beim Gripen ging es nur um einen Teilersatz der Kampfflugzeuge. Der Tiger sollte ausgemustert werden. Wir hätten dann insgesamt 55 Flieger gehabt: 22 Gripen und 33 F/A-18. Der Bundesrat ist damals zum Schluss gekommen, dass wir 55 bis 70 Kampfflugzeuge brauchen, um in einem Konflikt bestehen zu können. Heute sprechen wir von einer Gesamterneuerung mit 30 bis 40 neuen Flugzeugen. Das ist ein Kompromiss, weil auch andere Armeebereiche erneuerungsbedürftig sind.

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Den Gripen hat das Stimmvolk 2014 abgelehnt. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass es dieses Mal anders ausgeht?
Die Ausgangslage ist ganz anders. Damals ging es eben nur um einen Teilersatz. Jetzt aber geht es um die Zukunft der Luftwaffe. Nach 2030 werden wir keine tauglichen Flugzeuge mehr haben, wenn wir jetzt nicht Ja sagen. Wir müssen die Bevölkerung davon überzeugen, dass dies für die Sicherheitspolitik der Schweiz und den Schutz der Bevölkerung zentral ist.

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Für den normalen Luftpolizeidienst sind laut Bundesrat gerade mal acht Jets nötig. Mit den geplanten 30 bis 40 neuen Fliegern aber könnte die Schweiz in einer Krise kaum bestehen. Der Plan scheint weder Fisch noch Vogel zu sein.
Praktisch alle grossen Systeme der Armee sind am Ende ihrer Lebensdauer. Der Erneuerungsbedarf ist enorm. Das heisst, die Armee kann nicht nur in neue Kampfflugzeuge investieren, sonst könnten wir wie einst eigentlich geplant 55 bis 70 Flugzeuge beschaffen. Die Weiterentwicklung der Armee muss unter Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten ausgewogen erfolgen. Der Bundesrat hat sich deshalb für einen Mittelweg entschieden.

Heisst: Aus militärischer Sicht braucht es mehr Flieger, politisch liegt aber nicht mehr drin?
Richtig.

Bernhard Müller

Er steht schon seit über 40 Jahren im Dienst der Schweizer Armee: Divisionär Bernhard Müller (63). Mitten im Kalten Krieg begann er seine Laufbahn als Helikopterpilot. Seine Karriere kannte nur eine Richtung: nach oben. Seit 2018 ist er Kommandant der Schweizer Luftwaffe. Damit ist er verantwortlich für die Grundbereitschaft, die Ausbildung und den Einsatz der Luftwaffe sowie der Fliegerabwehr. Bei der Abstimmung über neue Kampfflugzeuge geht es für ihn um alles – auch wenn er selbst von einem Abstimmungssieg nicht mehr profitieren würde: Bis die neuen Jets abheben könnten, wird Müller längst pensioniert sein.

Er steht schon seit über 40 Jahren im Dienst der Schweizer Armee: Divisionär Bernhard Müller (63). Mitten im Kalten Krieg begann er seine Laufbahn als Helikopterpilot. Seine Karriere kannte nur eine Richtung: nach oben. Seit 2018 ist er Kommandant der Schweizer Luftwaffe. Damit ist er verantwortlich für die Grundbereitschaft, die Ausbildung und den Einsatz der Luftwaffe sowie der Fliegerabwehr. Bei der Abstimmung über neue Kampfflugzeuge geht es für ihn um alles – auch wenn er selbst von einem Abstimmungssieg nicht mehr profitieren würde: Bis die neuen Jets abheben könnten, wird Müller längst pensioniert sein.

Die Corona-Krise hat die Schweiz gehörig durchgerüttelt. Hat sie der Armee eher genützt oder geschadet?
Wir konnten aufzeigen, dass die Armee gute Leistungen zugunsten der Bevölkerung erbringen kann. Andererseits bringt die Krise enorme Kostenfolgen sowie eine grosse Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung mit sich – und damit auch die Angst, dass viele Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Klar, dass man sich da die Frage stellt, ob man gerade jetzt viel Geld für neue Kampfflugzeuge ausgeben will. Doch wir müssen vorausschauend handeln. Dazu gehören Investitionen in die Zukunft, von denen wir uns durch kurzfristige Entwicklungen nicht abbringen lassen sollten. Letztlich muss die Armee als Gesamtsystem funktionieren können, um den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten.

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Die Notwendigkeit einer Luftpolizei wird nicht einmal von den Gegnern bestritten. Dennoch: Ginge es nicht auch preisgünstiger?
Wir reden hier nicht von einer Luxuslösung. Es geht darum, dass wir unseren Auftrag erfüllen können – da geht es nicht nur um den Luftpolizeidienst. Wir müssen gemäss Verfassung den Luftraum verteidigen können. Und das ist nur mit gleichwertigen Kampfflugzeugen möglich. Dabei sprechen wir nicht nur von einem Angriff, sondern auch von nicht genehmigten Überflügen kriegsbeteiligter Nationen wie während des Irak-Kriegs.

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Die SP schlägt vor, einen günstigeren Jet für den Luftpolizeidienst zu beschaffen und die aufgefrischten F/A-18 für den Einsatz im Notfall bereit zu haben.
Mit einer Zwei-Flotten-Politik werden Mehrkosten verursacht. Sie müssen zusätzliche Flugzeuge kaufen und entsprechend betreiben. Mit einem modernen Flugzeug dagegen kann ich den Luftpolizeidienst als Teil unseres täglichen Trainings absolvieren – faktisch zum Nulltarif.

Österreich hat allerdings genau eine solche Zwei-Flotten-Luftwaffe. Sind unsere Nachbarn also auf dem Holzweg?
Gerade eben hat Österreich Abschied genommen von einer Zwei-Flotten-Strategie. Dabei wurde auch dort angeführt, dass alle anderen Länder mit einer Ein-Flotten-Strategie die ganze Bandbreite von Aufgaben günstiger erfüllen können.

Die Kosten sind schon jetzt umstrittenes Thema im Abstimmungskampf. Lange war einzig von einem Kaufpreis von sechs Milliarden Franken die Rede. Nun plötzlich ist klar, dass neue Flugzeuge alles in allem etwa 18 Milliarden kosten dürften. Die Gegner sprechen gar von 24 Milliarden. Hat das VBS dem Parlament und der Öffentlichkeit nicht die ganze Wahrheit gesagt?
Bei politischen Projekten hat man bisher immer von den Investitionskosten gesprochen. Das sind sechs Milliarden für Flugzeuge, Bewaffnung oder Simulatoren. Darüber wird abgestimmt. Redet man aber über die Lebensdauer von 30 Jahren, kommen natürlich die gesamten Betriebs- und Unterhaltskosten hinzu. Das wäre, als würde man bei einem Schulhausprojekt die Löhne von Lehrern und Abwart dazurechnen. Natürlich kommt man dann auf einen enorm hohen Betrag.

Gegenbeispiel: Will ich mir als Privatperson ein Auto kaufen, muss ich den jährlichen Unterhalt auch im Auge haben.
Absolut. Bei der Typenwahl wird das der entscheidende Punkt sein. Wir suchen das Flugzeug, welches das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis hat – nicht nur in der Beschaffung, sondern über die gesamte Lebensdauer.

Sie kennen alle vier zur Auswahl stehenden Flugzeugtypen. Welcher ist Ihr persönlicher Favorit?
Zum jetzigen Zeitpunkt habe ich noch keinen Favoriten. Den werde ich erst haben, wenn die Ergebnisse der Kosten-Nutzen-Analyse vorliegen.

Das ist schwer zu glauben.
Doch! Wir haben unsere besten Leute in ein Evaluationsteam gesteckt, das die Flugzeuge auf Herz und Nieren prüft – völlig abgeschottet, auch von mir.

Bei der Schweizer Luftwaffe kam es zu einer auffälligen Häufung von Unfällen. Zufall, oder hat das mit dem Alter der Flieger zu tun?
Tatsächlich kam es von 2013 bis 2017 zu fünf schweren Unfällen – nachdem wir während zehn Jahren keinen einzigen hatten. Wir haben jeden einzelnen Fall analysiert. Sie haben gar nichts miteinander zu tun. Und es hat erst recht nichts mit dem Alter der Flugzeuge zu tun.

Also einfach Pech?
Ich habe kein besseres Wort dafür.

Am 27. September wird abgestimmt. Wie sieht Ihr Plan B aus, sollte das Volk die neuen Flugzeuge tatsächlich ablehnen?
Es gibt keinen Plan B. Ein Nein würde die Konzeption der Armee und damit das gesamte Sicherheitskonzept der Schweiz grundsätzlich infrage stellen. Bundesrat und Parlament müssten in einer breiten Auslegeordnung analysieren, warum es nicht gelungen ist, eine Mehrheit der Bevölkerung von dem Ersatzbedarf zu überzeugen. Erst dann könnte man festlegen, wie man in die Zukunft gehen will.

Das klingt nach Scherben zusammenkehren. Ist es nicht etwas fahrlässig, in einer solch entscheidenden Frage keinen Plan B zu haben?
Es geht um Sein oder Nichtsein der Luftwaffe – aber nicht bereits ab morgen. Wir reden von der Zeit nach 2030. Bis dahin haben wir eine funktionierende Luftwaffe. Allerdings dauern unsere Beschaffungsprozesse eben auch so lang.

Neue Kampfjets – Darum geht's am 27. September

Bundesrat und Parlament wollen ab 2025 für sechs Milliarden Franken neue Kampfjets beschaffen. Diese sollen die bestehende Flotte aus F/A-18- und Tiger-Jets ablösen. Doch dagegen haben die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), die SP und die Grünen das Referendum ergriffen. Abgestimmt wird am 27. September.

Die Gegner argumentieren vorab mit zu hohen Kosten. Zudem sei die Schweizer Luftwaffe im internationalen Vergleich auch nach der Ausmusterung der Tiger-Jets gut gerüstet. Zur Erfüllung des Luftpolizei-Auftrags genügten die vorhandenen F/A-18. Diese seien erst kürzlich auf den neusten Stand der Technik gebracht worden.

Aus Sicht der Befürworter – FDP, SVP, CVP, BDP, GLP und EVP – ist ein Ersatz hingegen unbedingt nötig. Sie argumentieren zudem damit, dass die Flugzeuge ausschliesslich aus dem normalen Armeebudget finanziert werden sollen. Welcher Flugzeugtyp beschafft werden soll, wird der Bundesrat erst nächstes Jahr entscheiden.

Das Verteidigungsdepartement (VBS) wollte schon einmal neue Jets kaufen, bekam aber eine Abfuhr: 2014 lehnten über 53 Prozent der Schweizer Stimmbürger den Gripen ab. Nun startet das VBS einen neuen Versuch. Neben den sechs Milliarden für neue Jets will es für weitere zwei Milliarden eine bodengestützte Luftverteidigung (Bodluv) kaufen.


Bundesrat und Parlament wollen die in die Jahre gekommene Schweizer Flotte durch neue Kampfflugzeuge ersetzen.
Keystone

Bundesrat und Parlament wollen ab 2025 für sechs Milliarden Franken neue Kampfjets beschaffen. Diese sollen die bestehende Flotte aus F/A-18- und Tiger-Jets ablösen. Doch dagegen haben die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), die SP und die Grünen das Referendum ergriffen. Abgestimmt wird am 27. September.

Die Gegner argumentieren vorab mit zu hohen Kosten. Zudem sei die Schweizer Luftwaffe im internationalen Vergleich auch nach der Ausmusterung der Tiger-Jets gut gerüstet. Zur Erfüllung des Luftpolizei-Auftrags genügten die vorhandenen F/A-18. Diese seien erst kürzlich auf den neusten Stand der Technik gebracht worden.

Aus Sicht der Befürworter – FDP, SVP, CVP, BDP, GLP und EVP – ist ein Ersatz hingegen unbedingt nötig. Sie argumentieren zudem damit, dass die Flugzeuge ausschliesslich aus dem normalen Armeebudget finanziert werden sollen. Welcher Flugzeugtyp beschafft werden soll, wird der Bundesrat erst nächstes Jahr entscheiden.

Das Verteidigungsdepartement (VBS) wollte schon einmal neue Jets kaufen, bekam aber eine Abfuhr: 2014 lehnten über 53 Prozent der Schweizer Stimmbürger den Gripen ab. Nun startet das VBS einen neuen Versuch. Neben den sechs Milliarden für neue Jets will es für weitere zwei Milliarden eine bodengestützte Luftverteidigung (Bodluv) kaufen.


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