Missbrauch im Freiburger Collège St-Michel an Internatsschülern
Ich war Zeuge von Übergriffen, aber der Vatikan vertuschte

Ex-SonntagsBlick-Kolumnist Claude Chatelain wurde als Internatsschüler Zeuge von Übergriffen im Collège St-Michel in Freiburg. Als der Fall später bei Bischof Charles Morerod landete, handelte dieser sofort – aber der Vatikan fiel ihm in den Rücken.
Publiziert: 16.09.2023 um 18:15 Uhr
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SonntagsBlick-Kolumnist Claude Chatelain erinnert sich an das übergriffige Verhalten des Präfekten im Collège St-Michel in Freiburg von rund 50 Jahren. Claude Chatelain erkannte 2016 im Priester, der die Messe in Charmey FR las, aus Freiburg wieder.
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Claude ChatelainKolumnist und Wirtschafts-Publizist

Das darf doch nicht wahr sein, sage ich mir an jenem Sonntag im Frühjahr 2016. Der Priester, der in der Kirche in Charmey FR die Messe liest, gleicht verblüffend jenem Präfekten im Collège St-Michel in Freiburg, an den ich nicht wirklich schöne Erinnerungen habe.

Er gleicht ihm nicht nur. Er ist es. Einfach etwa 50 Jahre älter. Die schlimmste Erinnerung an ihn spielte sich im Schlafsaal ab. Während wir Buben einer neben dem andern die Zähne putzen, stolziert der Mann hinter uns her und zieht bei ausgewählten Internatsschülern an den Pyjamahosen. Angeblich will er sich vergewissern, dass wir auch wirklich für die Nacht die Unterhosen ausgezogen haben. Bei mir hat er es nie getan. Gott sei Dank, ich hätte ihm auf die Finger hauen müssen, wie mir mein Vater nachdrücklich befahl, nachdem ich ihm davon erzählt hatte. Wenig später hat mich mein Vater vom Internat befreit, und ich pendelte fortan zwischen Bern und Freiburg.

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Die schlimmste Erinnerung an den Präfekten spielte sich im Schlafsaal ab.
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«Jetzt habe ich genug Zeugen»

Ich erzähle diese Geschichte Bischof Charles Morerod (61), nachdem ich «meinen» Internatspräfekten an jenem frühlingshaften Sonntag in Amt und Würden hinter dem Altar wiedererkannt habe. Der Bischof antwortet postwendend und schreibt: «Jetzt habe ich genug Zeugen.» Ob ich bereit wäre, bei einer Konfrontation mit dem Priester auszusagen?

Diese findet im Juni 2016 statt. Zugegen sind neben dem Bischof, einem Protokollführer und dem greisen Priester zwei wirkliche Opfer und ich als Zeuge. An das eine der beiden Opfer erinnere ich mich aus der gemeinsamen Zeit im Internat. Er ist etwa fünf Jahre jünger als ich und erzählt im Detail, wie er als Elfjähriger vor dem Präfekten die Hosen herunterlassen musste, nachdem er sich krankgemeldet hatte. Worauf ihm der Priester – angeblich zwecks medizinischer Untersuchung – an die Genitalien griff.

Das andere Opfer war 15 Jahre alt, als der Priester in einem Pfadilager übergriffig wurde. Der Mann hatte dies vor rund 35 Jahren dem damaligen Bischof gemeldet, wie ich bei jener Konfrontation erfuhr. Es stand Aussage gegen Aussage, es passierte nichts.

Rückenschuss des Vatikans

Doch Bischof Morerod fackelte nicht lange. Er enthob den Priester von der Ausübung der kirchlichen Ämter und schickte das Protokoll nach Rom. Monate später erkundigte sich eines der beiden Opfer, ob eigentlich aus dem Vatikan eine Antwort gekommen sei. Ja, musste der Bischof einräumen. Rom habe den fehlbaren Priester angesichts seines hohen Alters rehabilitiert.

Dieser Rückenschuss muss den Bischof geschmerzt haben – und noch mehr die Opfer. Zumindest in diesem konkreten Fall kann man Bischof Charles Morerod nicht unterstellen, er hätte weggeschaut und den Ernst der Sache unterschätzt. Die Truppe um Papst Franziskus allerdings schon.

Claude Chatelain war in den vergangenen sechseinhalb Jahren der «Gopfried Stutz»-Kolumnist im SonntagsBlick. 

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