Er träumte davon, Picasso zu werden, und wurde Dagobert, der Kaufhauserpresser. Zuvor hatte Arno Funke (73) eine Ausbildung als Fotograf begonnen. Auch in den 1970ern träumten viele Jugendliche davon, Künstler zu werden, irgendetwas Kreatives, bloss kein Achtstundenjob, man wollte ein bisschen «Gipsy» sein – das war die Zeit, in der man «Zigeuner» noch mit «Lebenskünstler» assoziierte.
Nach dem Abbruch der Fotografenlehre schaffte Arno Funke einen Lehrabschluss als Schildermaler und versuchte sich weiterhin als Kunstmaler. Ohne Erfolg. Ab 1980 arbeitete er als Kunstlackierer in einer Autowerkstatt. Den Achtstundentag empfand der 68-er als Folter, und so erpresste er 1988 das Berliner Kaufhaus des Westens. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, deponierte er eine Bombe, die zur Nachtzeit detonieren sollte. Sie tat es nicht, die Geldübergabe scheiterte.
Eine halbe Million erpresst – und pleite
Also legte Arno Funke erneut eine Bombe. Diesmal detonierte sie und verursachte nicht nur einen Schaden von einer Viertelmillion Deutschen Mark, sondern ebnete auch den Weg für eine erfolgreiche Übergabe von 500'000 DM Lösegeld. Bereits nach vier Jahren war Funke wieder pleite. Arbeiten kam nach wie vor nicht infrage, also versuchte er es erneut mit einer Kaufhauserpressung. Diesmal forderte er 1,4 Millionen DM. Mit der Polizei kommunizierte er über Zeitungsannoncen mit dem Code «Onkel Dagobert grüsst seine Neffen».
Etliche Straftäter versuchen, mit Humor Medien und Öffentlichkeit für sich zu gewinnen: Bonnie (1910–1934) und Clyde (1909–1934) bedankten sich beim Autobauer Henry Ford für den neuen Achtzylinder, der jedes Polizeiauto abhängt; der Schweizer Ausbrecherkönig Walter Stürm (1942–1999) hinterliess die Notiz «Bin Ostereier suchen gegangen». Dagobert war beste Unterhaltung.
So aufwendig war kein anderer Erpressungsfall
Das änderte sich auch nicht, als Funke in einem Warenhaus in Hannover (D) eine weitere Bombe legte und diese während der Öffnungszeit im Lift detonierte. Dass dabei nicht Menschen in Fetzen gerissen wurden, war nicht sein Verdienst, sondern dem Zufall geschuldet. Einige Journalisten stilisierten Dagobert zu Robin Hood, obwohl Arno Funke Tote in Kauf nahm, um sich, und niemand anderes, zu bereichern.
Im Frühjahr 1994 endete der aufwendigste Erpressungsfall der deutschen Kriminalgeschichte. Dagobert wurde wieder das, was er nie sein wollte: ein Verlierer, ein Nobody. Neun Jahre Haft kassierte er vom Berliner Landgericht in zweiter Instanz.
Gast in Talkshows und im «Dschungelcamp»
Als verurteilter Krimineller betrat Arno Funke 1996 seine Zelle in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee, als Medienstar Dagobert verliess er sie bereits nach sechs Jahren wieder. Wegen guter Führung. Während der Haft hatte er Karikaturen für die Satirezeitschrift «Eulenspiegel» gezeichnet, darunter auch das antisemitische Cover zur Titelstory über den jüdischen Politiker Michel Friedman. Er entwarf auch Wahlplakate für die Partei «Die Linke».
Funke wurde gefeiert, schrieb seine Autobiografie, nahm an Literaturfestivals teil, trat in Talkshows und Filmen auf – und 2013 im «Dschungelcamp». Heute stellt er seine Karikaturen in Galerien aus und hält Vorträge. Für ihn hat sich Verbrechen gelohnt. Anders als für die beiden jungen Basler Sprengstoff-Täter, die ihn zum Vorbild nahmen und nun vom Bundesstrafgericht in Bellinzona TI zu mehreren Jahren Haft verurteilt wurden.