Eine Covid-19-Spritze aus Holz, die über einem Feuer verbrennt. Ein Plakat des Bundeshauses, das wie eine Marionette von riesigen Händen gesteuert wird. Und ein Ballon mit dem Symbol des «Great Reset» («Der grosse Neustart»): Auf Telegram kursiert ein neues Video der Freiheitstrychler, das diverse Fragen aufwirft.
Bekannt geworden war die Gruppierung mit ihren auffälligen Auftritten im Herbst 2020. «Engagierte Urschweizer» nannten sich die Trychler, die sich «mit Herz und Hand für die verfassungsmässigen Rechte» einsetzen. Als Massnahmen-Kritiker sind sie heute an den meisten Corona-Demonstrationen in der Schweiz dabei. Von Verschwörungstheorien war bisher nie die Rede. Das hat sich jetzt geändert.
«Sie outen sich eindeutig als Verschwörungstheoretiker»
Für den Sozialwissenschaftler Marko Kovic (36) ist klar: «Die Freiheitstrychler outen sich mit dem Video eindeutig als Verschwörungstheoretiker.» Das Symbol des «Great Reset» sei international bekannt. «Es steht für eine weltweite Corona-Verschwörungstheorie, die besagt, dass alles inszeniert ist und eine dunkle Weltmacht die Pandemie für ihre Zwecke nutzt», sagt Kovic zu Blick.
Der Begriff «The Great Reset» wurde im Mai 2020 vom deutschen Wirtschaftswissenschaftler und WEF-Gründer Klaus Schwab (83) verwendet, als die Welt zum ersten Mal die volle Wucht der Corona-Pandemie zu spüren bekam. Er war der Meinung, dass der Kapitalismus an sich grüner, nachhaltiger und sozialer werden müsse, um einen globalen wirtschaftlichen Aufschwung zu ermöglichen.
Zahlreiche Corona-Skeptiker änderten kurzerhand den Sinn von Schwabs Aussage: Für sie war «The Great Reset» der Beweis, dass die Eliten der Welt in der Pandemie den passenden Grund gefunden hatten, eine «neue Weltordnung» zu errichten.
«Diese Botschaften machen Dialog unmöglich»
Das Plakat des Bundeshauses, das von fremden Mächten gesteuert wird, sei laut Kovic ein weiteres Symbol für diese Verschwörung. «Klarer könnte die Verbindung zum ‹Great Reset› im Video nicht sein», sagt er. Wie lange die Freiheitstrychler schon an diese Erzählung glauben, sei fraglich. «Es ist möglich, dass sie erst kürzlich abgedriftet sind oder aber dass sie von Anfang an Verschwörungstheoretiker waren.»
Das Video überschreitet für Kovic eine Grenze. «Es ist verstörend. Und es geht eine Stufe weiter, als sich bloss für die verfassungsmässigen Rechte einzusetzen.» Über die Corona-Massnahmen lasse sich diskutieren, meint Kovic. «Aber die Botschaften im Video liegen nicht mehr im Rahmen des politischen Diskurses. Sie machen einen Dialog unmöglich.»
Nähe der Szene zu Verschwörungstheorien wird deutlich
Kovic betont, dass nicht alle Corona-Skeptiker automatisch an solche Theorien glauben. Aber er sagt: «Am Beispiel der Freiheitstrychler sieht man, dass die Nähe zu Verschwörungstheorien in der Szene der Massnahmengegner sehr präsent ist.» Wer in der Schweiz monatelang sagt, er lebe in einer Diktatur, sei nur wenige Schritte von Veschwörungstheorien entfernt.
«Es ist gefährlich, dass die Freiheitstrychler diese Botschaften so offen präsentieren», sagt Kovic. Sie hätten viele Sympathisanten, die nun damit konfrontiert würden – und sich schlimmstenfalls davon angezogen fühlten und radikalisieren liessen. «So sind die Freiheitstrychler Superspreader von Verschwörungstheorien.»