Als Marco Sieber (35) 2022 in Köln (D) zur sechsstufigen Astronautenaushebung antritt, sieht er seine Chancen immer kleiner werden. «Ich traf so viele faszinierende Menschen und dachte: Gegen die habe ich keine Chance.»
Er lag falsch.
Der Berner setzt sich gegen 22'500 Mitbewerbende durch und erhält einen von nur fünf Ausbildungsplätzen am Europäischen Astronautenzentrum in Köln. Seit Montag ist es offiziell: Nach bestandener Grundausbildung hat die Schweiz mit Marco Sieber nach 25 Jahren wieder einen Astronauten. Er wird nach Claude Nicollier (79) als erst zweiter Schweizer in den Weltraum reisen.
Eine riesige Ehre, sagt Marco Sieber. Dabei denke er noch heute in ruhigen Momenten: «Wieso ich?»
Mehr zu Marco Sieber und zur Raumfahrt:
Arzt, Pilot und Abenteurer
Sieber ist in Kirchberg BE am Eingang zum Emmental aufgewachsen. Er liebt die Berge, die Weite, die Freiheit, draussen zu sein. Sieber ist ein Abenteurer, steigt mit Tourenski in die Höhe, versucht sich als Taucher, Gleitschirmflieger, Kitesurfer. In Ballspielen habe er nie brilliert, erinnert er sich, da habe er sich andere Hobbys suchen müssen. Und diese, sagt Sieber, könne er logisch kombinieren: mit den Ski den Berg hoch, mit dem Gleitschirm wieder runter.
Der Werdegang Siebers liest sich wie der Lebenslauf eines Karrieristen kurz vor der Pension – dabei ist er erst 35 Jahre alt. Der Berner ist Fallschirmaufklärer bei der Schweizer Armee, hat eine private Pilotenlizenz, macht 2015 seinen Doktor in Medizin. Er arbeitet als Notarzt bei der Helikopterrettung, fliegt als medizinischer Offizier der Schweizer Truppen in den Kosovo, arbeitet als Arzt in der Allgemeinchirurgie, der Traumatologie, der Anästhesie, der Urologie.
Und plötzlich geht sein Traum vom All in Erfüllung.
Das Fliegen – es hat den Berner stets begeistert. Bereits der Vater war Hobbypilot, die Kinder haben dadurch früh die Möglichkeit, abzuheben. Sieber erinnert sich an Fernsehberichte über die Missionen von Claude Nicollier im elterlichen Wohnzimmer, daran, wie er an der Emme sitzt, in den Nachthimmel schaut und träumt: Diese Weite – was es dort wohl alles gibt?
Vom staunenden Jungen im beschaulichen Emmental ins All: eine märchenhafte Geschichte. Dabei sei es keineswegs so gewesen, dass er schon immer wusste, Astronaut werden zu wollen, so Sieber. «Es war ein Bubentraum, mehr nicht.» Die Vorstellung, ins All zu fliegen, habe ihn fasziniert. «Aber ich wollte auch Dinosaurierforscher werden», sagt er und lacht.
Sechs Monate in der Raumstation
Den Weg zum Astronauten ebnet sich Sieber mit dem Antritt des Medizinstudiums, wenn auch unwissentlich. Astronaut bei der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) kann werden, wer über einen Abschluss in einem naturwissenschaftlichen Fach, in Ingenieurwesen oder Medizin verfügt. Doch das weiss der Berner nicht, als er sich an der Universität Bern einschreibt. Erst im Studium wird aus dem Bubentraum eine echte Sehnsucht.
Sieber realisiert, dass er sich tatsächlich bewerben kann, wenn die ESA wieder Astronauten sucht. Er beschliesst: Das will ich versuchen. «Der Job als Astronaut verbindet meine Leidenschaften, geht an die Grenzen des technisch Machbaren, kombiniert Wissenschaft und Abenteuer», sagt Sieber. Er ist Feuer und Flamme. Der ikonische Satz, den Neil Armstrong (1930–2012) bei der ersten Mondlandung sagt, ist zwischenzeitlich sein Klingelton: «Es ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein gewaltiger Sprung für die Menschheit.»
Jahre später hat Marco Sieber Gewissheit, dass auch er ins All fliegen wird. Die ESA will die neuen Astronauten zwischen 2026 und 2030 zur Internationalen Raumstation (ISS) schicken, die in rund 400 Kilometer Höhe um die Erde kreist. Sechs Monate werden sie in der Erdumlaufbahn wissenschaftliche Experimente betreuen.
Die Grundausbildung, die Sieber dafür absolviert hat, ist streng: Tauchgänge simulieren Aussenbord-Einsätze, Parabelflüge lassen Schwerelosigkeit erleben, die Zentrifuge stellt die körperliche Belastung eines Raketenstarts nach. Dazu kommt viel Theorie: Biologie, Physik, Raumfahrttechnologie, Geologie, Astronomie. Auch Russisch lernt Sieber in Intensivkursen, neben Englisch die zweite offizielle Sprache an Bord der ISS. Und doch habe er mehr geschlafen als in seiner Zeit als Assistenzarzt, sagt er.
Der Mars ist keine Option
Wann genau er in einer Rakete sitzen wird, weiss Sieber noch nicht. Frühestens in einem Monat teilt die ESA die Missionen zu. Sieber gehört zur letzten Astronautengeneration, die zur ISS fliegen wird. 2031 soll die Raumstation kontrolliert zum Absturz gebracht werden. Doch bemannte Missionen wird es weiter geben, längst ist ein neuer Wettlauf ins Weltall entbrannt, in dem neben Staaten wie die USA oder China auch private Milliardäre mitmischen.
Ziel ist nach 50 Jahren wieder der Mond – und der Mars. Bisher hat Europa drei garantierte Plätze im Mondprogramm der Nasa. Das lässt auch Sieber wieder träumen. Ob er einmal auf dem Mond stehen wird? Er wisse es nicht, sagt Sieber. Doch er hoffe es.
Und der Mars?
Da hören Siebers Träume auf. Eine Mars-Mission werde frühestens für die nächste Astronautengeneration realistisch, glaubt er. Für eine One-Way-Mission stehe er sowieso nicht zur Verfügung.
Bei aller Lust auf das Weltall ist für den neuen Schweizer Astronauten klar: «Dafür mag ich die Erde dann doch zu gerne.»