Brisante Gemeindeversammlung in Steckborn TG mit Rekordbeteiligung
Bürger sagen deutlich Ja zu Notasylzentrum

Eine Bürgerbewegung in Steckborn TG hat eine ausserordentliche Gemeindeversammlung erzwungen. Sie verlangt die Kündigung der Mietverträge einer Asylunterkunft. Heute Abend kam es zum grossen Showdown.
Publiziert: 15.02.2024 um 18:02 Uhr
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Aktualisiert: 15.02.2024 um 22:04 Uhr
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Mittlerweile ein fester Bestandteil des Dorfbilds: Geflüchtete vertreiben sich die Zeit in einem Pavillon in Steckborn.
Foto: Nicolas Lurati
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Sebastian BabicReporter Blick
15.02.2024, 21:17 Uhr

Das Notasylzentrum bleibt in Steckborn

Eine überwältigende Mehrheit der Steckborner Stimmbevölkerung möchte das Notasylzentrum behalten. Das Ergebnis war derart deutlich, dass der Stadtpräsident auf eine Auszählung verzichtete. Die Stimmbevölkerung folgt damit den Argumenten der Regierung, der allermeisten Parteien und der Kantonspolizei. Die Befürworter einer Kündigung bleiben ohne Chance.

Die «IG Anwohner Asylunterkunft» durfte den Abend mit ihren Argumenten eröffnen. In einem etwas wirren Vortrag platzierte die IG einen bunten Strauss von Anschuldigungen, kaum ein Argument konnte statistisch belegt werden. Die Zustimmung und der Applaus in der Feldbachturnhalle blieben dementsprechend verhalten.

Die Argumente des Stadtrates, des SEM und der Kapo Thurgau hingegen ernteten grossen Applaus. Früh war klar, wie die Sympathien zum Anliegen der IG verteilt sind.

Der Besucherandrang war riesig. Knapp 700 Menschen besuchten die Veranstaltung (rund ein Drittel der Stimmberechtigten), ein Teil musste gar wegen feuerpolizeilichen Überlegungen in die nahe Aula verlegt werden, wo die Gemeindeversammlung live übertragen wurde. Laut den Verantwortlichen vor Ort, habe der Besucherandrang jegliche Rekorde übertroffen. 

15.02.2024, 21:13 Uhr

Klare Sache in Steckborn!!!

Die Gegner der Kündigung gewinnen. Eine deutliche Mehrheit hat sich gegen die Kündigung des Vertrages mit dem SEM entschieden. Der Gemeindepräsident verzichtet auf eine Auszählung, das Ergebnis ist deutlich.

15.02.2024, 21:12 Uhr

Klarer Applausvorteil für die Gegner der Kündigung

Die Wortmeldungen der Gegner der Kündigung werden deutlich frenetischer gefeiert als die der Befürworter.

Jetzt kommt es zur Abstimmung:

15.02.2024, 21:10 Uhr

Ehemalige Mitarbeiterin kritisiert Zustände

Eine Frau, die - nach eigenen Angaben - in der Unterkunft gearbeitet hat, meldet sich. Sie beanstandet die Lebensverhältnisse in der Zivilschutzanlage. Keine Fenster, keine Luftzufuhr, Trennung von Familien. Sie wolle sich nicht gegen die Unterbringung aussprechen, würde sich aber eine Containersiedlung wünschen - den Geflüchteten zuliebe.

15.02.2024, 21:06 Uhr

«Ich konnte Vorurteile revidieren»

Ein Arzt meldet sich: «Ich habe die Geflüchteten als sehr nett kennengelernt. Wir sollten menschlich bleiben und diese Personen gleichberechtigt behandeln.»

15.02.2024, 21:05 Uhr

«Wir wollen keinen Spaltpilz!»

Ein Polizist meldet sich. «Seien wir froh, dass wir die Securitas vor Ort haben. Ich weiss, dass deren Präsenz die IG stört, aber diese Menschen können sich nicht durchsichtig machen und helfen uns bei unserer Arbeit.»

«Ich will keinen Spaltpilz, sondern lieber über den Sportplatz diskutieren», sagt der Polizist.

Die Halle lacht und applaudiert.

15.02.2024, 21:01 Uhr

«Die Bewohner sind im Schnitt 53 Tage in der Anlage»

Der Gemeindepräsident bestätigt, dass die Bewohner rund 53 Tage in der Anlage bleiben. Deutlich länger, als dies in einer Notunterkunft gewünscht wäre.

15.02.2024, 20:58 Uhr

Die Fragerunde ist eröffnet

Jetzt startet die Fragerunde. Viele Einwohner haben sich gemeldet. Ein Erster ergreift das Mikrofon und kritisiert die Befürworter scharf. «Die Befürworter belustigen sich an der aktuellen Situation. Ich habe mir Informationen erhofft, es wurde sinnlos und ohne Argumente kritisiert.» Die Argumente der Befürworter seien egoistisch.

Tosender Applaus.

15.02.2024, 20:50 Uhr

Jetzt spricht die Kantonspolizei

«Das subjektive Sicherheitsgefühl entspricht nicht der objektiven Sicherheitslage», sagt die KAPO Thurgau. Lediglich 24 polizeilich relevante Ereignisse, seien in den letzten 22,5 Monaten registriert worden. Dies entspräche zwar einer Zunahme, bewege sich aber im Rahmen der durchschnittlichen kantonsweiten Zunahme bei Delikten. 

15.02.2024, 20:43 Uhr

«Wenig sicherheitsrelevante Vorfälle in Steckborn»

Mit einer Statistik möchte das SEM aufzeigen, dass im Bundesasylzentrum Steckborn (BAZ) keine kriminellen Probleme bestehen. 48 sicherheitsrelevante Vorfälle habe es letztes Jahr gegeben. Das sei deutlich unter dem Durchschnitt. Auch Diebstähle aus abgestellten Fahrzeugen würden normalerweise von Asylsuchenden aus den Maghrebstaaten verübt, diese seien aber nicht in Steckborn untergebracht.

Heute Abend schaut die Schweiz nach Steckborn TG. Im Rahmen einer ausserordentlichen Gemeindeversammlung soll heute entschieden werden, ob ein Mietvertrag zwischen der Gemeinde und dem Staatssekretariat für Migration (SEM) gekündigt wird. Konkret geht es um ein Not-Asylzentrum, dass der Bund seit rund zwei Jahren in einer Zivilschutzanlage im kleinen Bodensee-Städtchen betreibt und in der aktuell rund 120 Geflüchtete untergebracht sind – bis zu 300 Personen wären theoretisch zugelassen.

Kurz nachdem vor rund zwei Jahren Geflüchtete in der Notunterkunft untergebracht wurden, kam es bereits zu ersten Spannungen. Anders als in urbanen Ballungszentren, fallen die Geflüchteten in der 3500-Seelen-Gemeinde auf, schliesslich machen diese knapp 3,5 Prozent der Bevölkerung aus. Da die Geflüchteten in der Notunterkunft kaum Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung haben, halten diese sich oft im öffentlichen Raum auf und werden eher wahrgenommen.

Ausserordentliche Gemeindeversammlung erzwungen

Aus diesen Spannungen heraus entstand die IG Anwohner Notasylunterkunft (IG), die die damaligen Zustände anprangerte. Sie startete eine Unterschriftensammlung, um die Mietverträge zwischen Steckborn und dem SEM zu kündigen. In knapp zwei Wochen kamen rund 130 Unterschriften zusammen, bereits 100 Unterschriften hätten gereicht, um eine ausserordentliche Gemeindeversammlung zu erzwingen.

Welche Entscheidung die Stimmbevölkerung heute fällen wird, ist schwer zu prognostizieren. Genau vor einem Jahr besuchte Blick das pittoreske Unterseestädtchen und traf auf ein gespaltenes Dorf. Während sich einige Einwohner durch die Präsenz der Geflüchteten im öffentlichen Raum gestört fühlten, sahen andere wiederum keine Probleme. Beiden Seiten ist aber gemeinsam, dass sie die Unterbringung im Asylzentrum anprangern.

Anders als geplant verbrachten die Geflüchteten (darunter zahlreiche Familien) teilweise mehrere Wochen in der Notunterkunft – bei ungenügender Luftzufuhr und ohne Fenster. Selbst die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter schaltete sich ein und machte laut CH-Media schwere Mängel in der Unterkunft geltend. Dieses Argumentarium nahm auch die IG vor wenigen Tagen erstmals auf, obwohl sie zuvor in erster Linie den vermeintlichen Anstieg der Kriminalität anprangerte, was die Thurgauer Kantonspolizei negiert.

Entscheidung könnte wegweisend sein

Die heutige Gemeindeversammlung könnte in vielerlei Hinsicht wegweisend für die zukünftige Schweizer Asylpolitik sein. Sie könnte zu einem Präzedenzfall werden. Bisher war die Asylpolitik Sache des Bundes. Die Kündigung des Vertrags via Volksentscheid wäre ein Novum. Andere Gemeinden könnten nachziehen und damit die Unterbringung von Geflüchteten erschweren.

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