Der Fall des Aargauer Zahnarztes (62) macht sprachlos: Am Dienstag machte der Kanton publik, dass das Gesundheitsdepartement dessen Praxis in Birr AG Anfang April dichtmachen musste. Der Aargauer Kantonszahnarzt hatte bei der Kontrolle gravierende Hygienemängel festgestellt. Konkret: Der Doktor hatte seine Instrumente nicht richtig desinfiziert. Eine Hiobsbotschaft für seine Patienten: Sie müssen zum HIV- und Hepatitistest.
Der Birrer Zahnarzt betrieb die Praxis offenbar lange ohne das dringend benötigte Fachpersonal. Geld für eine fachgerechte Wartung der Maschinen hätte er offenbar genug gehabt – glaubt man seiner Selbstdarstellung in den sozialen Medien. Er protzte auf Facebook mit seinem orangen Lamborghini, verbrachte edle Ferien oder zeigte sich bei teurem Essen im schicken Restaurant und beim Paffen kostspieliger Zigarren.
Alles schlimmer als zunächst gedacht
Offenbar eine Scheinwelt. Denn nun zeigen Blick-Recherchen, dass die Zustände an seinem Arbeitsort ganz anders aussahen. Die Mängel im Desinfektionsraum waren noch viel schlimmer, als am Dienstag bekannt. Darum hat der Kantonszahnarzt auch mit viel Druck die Praxis geschlossen und die Öffentlichkeit informiert. Laut einem Informanten sind zwei der vier Desinfektionsstufen seit Jahren nicht mehr in Betrieb.
Vorschrift wäre, dass das benutzte Zahnarztbesteck zuerst in einem Bad mit Desinfektionslösung für mehrere Stunden badet. Danach müsste es in den Ultraschall, dann in eine Art Geschirrspüler, der Thermodesinfektion, zuletzt in einen Trocken-Sterilisator. Gemäss einer Mitarbeiterin des Zahnarztes benutzten sie nur noch das Desinfektionsbad und den Ultraschall. Ob dieser noch funktionierte, ist aber noch unklar. Denn man konnte ihn gar nicht richtig auf seine Funktionalität überprüfen. Spezielle Prüfgeräte waren nicht vorhanden. Sicher ist: Der Geschirrspüler für die Thermodesinfektion läuft seit Jahren nicht mehr. Und auch der Sterilisator war schon länger defekt.
Ebenfalls klar ist, dass der Zahnarzt bis zur Schliessung noch Patienten behandelte. Er bohrte Löcher, machte Brücken, setzte Füllungen. Dass dabei an seiner Arbeit etwas falsch wäre, konnten die Patienten schlicht nicht beurteilen. Blick sprach mit ehemaligen Patienten, die das bestätigen. Als sie den Brief vom Gesundheitsdepartement erhielten, waren sie total erschrocken.
Am Boden zerstört
Derweil strotzte der Zahnarzt auf seinen Facebook-Bildern vor guter Laune. Am Tag der Enthüllung war davon nichts mehr zu sehen, als Blick ihn traf: Es ging ihm sichtlich schlecht. Er war bleich und hinkte. Auf die Fragen von Blick konnte er nur schwer antworten. «Es ist alles aufgebauscht. Die Zustände waren nicht so schlimm, wie sie dargestellt werden», sagte er. Dass er seit zwei Jahren den Betrieb nicht mehr im Griff hatte, ist ihm offensichtlich nicht bewusst.
Seine letzte Mitarbeiterin und Lebenspartnerin sprach offen über die Missstände, wollte aber nicht zitiert werden. Sie war für das Büro zuständig. Sie kam aus der Sicherheitsbranche. Dass sie die Desinfektionsgeräte nicht bedienen kann, war ihr schon länger klar. Sie war nach der Enthüllung am Boden zerstört. Frust und Überforderung lösten sich in Tränen auf, als Blick mit ihr sprechen konnte.
Zahnarzt entschuldigte sich bei Patienten
Ob der Ex-Zahnarzt noch immer mit dem Lambo durch die Gegend braust, ist nicht sicher. Die Nachbarn haben den Boliden zuletzt vor einem Jahr gesehen. Auch von teurem Essen oder Zigarren hat er diese Woche nichts mehr auf Facebook gepostet. Wie auch seine Patienten steht er unter Schock und braucht etwas Zeit, um sich neu auszurichten. Er ist 62 und muss noch ein paar Jahre arbeiten. Nur als Zahnarzt darf er das jetzt nie mehr machen: Er hat das Patent freiwillig abgegeben.
Am Mittwoch war der Zahnarzt für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Am Dienstag hatte er sich über Blick noch bei seinen Patienten entschuldigt.