Wenn jemand das Gebiet rund um die Haute Route wie seine Westentasche kennt, dann ist das Anjan Truffer. Er ist erfahrener Bergführer, Rettungschef der Bergrettung Zermatt und war an der Bergung der verunglückten Skitourengänger beteiligt. Vor Ort sei man auf ein tragisches Bild getroffen. Die Skitourengänger hätten demnach noch versucht, sich vor dem Wind zu schützen, indem sie Schneehöhlen gebaut hätten. Ohne Erfolg. Bisher wurden fünf der sechs Vermissten tot geborgen.
Wie es dazu kommen konnte, ist noch unklar. Im Blick-Interview verrät Truffer, was die grössten Gefahren sind und welche Fehleinschätzungen zum Unglück geführt haben könnten.
Blick: Herr Truffer, die Haute Route ist eine beliebte Strecke bei Skitourengängern und wird oft und gerne genutzt. Trotzdem kommt es immer wieder zu Vorfällen. Was macht die Strecke so gefährlich?
Anjan Truffer: Die grössten Gefahren auf der Strecke sind eigentlich immer die gleichen, da es sich um ein hochalpines Gebiet handelt: Wo es Gletscher hat, gibt es auch Gletscherspalten. Ausserdem herrscht Lawinengefahr. Grundsätzlich handelt es sich nicht um eine grosse oder besonders schwierige Tour, wenn man sie bei gutem Verhältnis angeht.
Also ist die Strecke auch für Anfänger geeignet?
Ja, also mit Sicherheit nicht alleine! Aber in Begleitung eines Bergführers eignet sich die Strecke auch für Anfänger – solange diese körperlich fit sind.
Wo genau befand sich der Fundort der Verunglückten und was sagt die Position aus?
Die Gruppe wurde leicht abseits der Route entdeckt. Wie ich gesehen habe, wurden sie bei einer alternativen Abstiegsmöglichkeit gefunden. Diese entspricht aber nicht der Originalroute.
Was bedeutet das? Ist die Gruppe in Panik geraten wegen des Wetters, dass sie versucht hat vorher schon abzusteigen?
Das ist eine Möglichkeit. Es kann aber auch sein, dass der Abstieg von Anfang an so geplant war. Dazu kann ich im Moment nichts Konkretes sagen.
Die Wetterprognosen, als die Gruppe aufbrach, waren sehr schlecht. Andere Bergführer, mit denen Blick sich unterhalten hat, bezeichneten das Vorhaben als Selbstmord. Können sie das nachvollziehen?
Ich würde das nicht als absolut falsch bezeichnen. Grundsätzlich ist es aber sicherlich fahrlässig, bei diesem Wetterbericht solche Touren zu unternehmen.
Bei den Verunglückten handelt es sich auch um Einheimische, die wohl die alpinen Gefahren besser kennen, als Touristen von ausserhalb. Wie konnte es dazu kommen?
Ich glaube einfach, man hat entweder den Wetterbericht total falsch eingeschätzt, oder aber es liegt eine Selbstüberschätzung vor. Vielleicht dachte man, man käme schneller vorwärts, bevor das schlechte Wetter kommt. Im Moment ist es aber noch deutlich zu früh, um zu sagen, was genau der Fall war.
Die Verhältnisse waren bei diesem Unglück das grosse Problem. Es lag unter anderem viel Neuschnee. Wie verändern solche Verhältnisse eine Skitour?
Neuschnee führt dazu, dass man deutlich langsamer vorankommt, da man seine Spuren selbst machen muss. Bei 30 bis 40 Zentimeter Neuschnee muss man sicherlich mehr Zeit einplanen für die Route.
Bereits 2018 kam es auf der Haute Route zu einer ähnlichen Katastrophe. Lassen sich die Verhältnisse von damals mit dem aktuellen Unglück vergleichen?
Ich erinnere mich daran. Damals wusste man schon Tage vorher, dass ein grosser Föhnsturm kommt, mit heftigen Winden und einem massiven Niederschlag. Dieses Mal war die Situation sehr ähnlich.