«Warum sind manche Tiere gut und andere böse?», wurde ich letzte Woche in einem Interview gefragt. «Ist es vorstellbar, dass sich die Natur wie im Buch ‹Der Schwarm› gegen uns Menschen auflehnt?» war etwas, was eine Journalistin diese Woche von mir wissen wollte. «Was würde passieren», fragte ein Zuhörer nach einem Vortrag von mir, «wenn man Manager durch Tiere ersetzen würde?» Alle Fragenden erliegen der gleichen Versuchung: Sie projizieren menschliche Werte und Eigenschaften auf Tiere. Doch «gut» oder «böse» sind Werte, die wir als Menschen definiert haben. Was «gut» ist, unterscheidet sich von Land zu Land, hier in der Schweiz sogar von Kanton zu Kanton und letztlich von Mensch zu Mensch. Ein Tier kann nicht «gut» sein und auch nicht «böse». Es ist, wie es ist – natürlich.
Selbstverständlich kann sich ein einzelnes Tier gegen die Menschen auflehnen, aber eine ganze Art, oder die Natur als solche, tut und kann das nicht. Wenn ein Haustier schlecht behandelt wird, kann es sich bockig, widerspenstig oder aggressiv verhalten und sich gegen den Menschen wehren. Aber der Hund, der von seinem Besitzer misshandelt wird, kann sich (in diesem Fall leider) nicht mit den anderen Nachbarshunden gegen den Übeltäter verbünden. Auch in Frank Schätzings Roman ‹Der Schwarm› ist es nur dem Anschein nach die Natur, die sich gegen den Menschen auflehnt. In Wirklichkeit, und hier verlässt Schätzing das Reich der Biologie und wechselt in die Science-Fiction, ist es ein schnell lernender, hochintelligenter Superorganismus, der den Menschen zu schaffen macht, der die Hirne der Meerestiere infiziert und Orcas Boote attackieren und Tiefseewürmer Tsunamis verursachen lässt. Die Grundidee davon hat sich Frank Schätzing bei Parasiten und Pilzen abgeguckt, die zum Beispiel Ameisen befallen. Einmal auf der Ameise gelandet, findet der Pilz den Weg ins Hirn und steuert das Verhalten der Ameise so, dass er sich besonders gut weiterverbreiten kann. Das aber der Pilz ganze Kolonien Ameisen zu koordinierten Attacken auf Menschen antreiben würde, gehört ins Reich der Fiktion.
So problematisch es ist, Tieren menschliche Eigenschaften zuzuschreiben, so gefährlich ist es auch «Naturregeln» auf uns Menschen zu übertragen. Denn die Frage nach den «tierischen Managern» würde für uns Menschen nur ein ungutes Erwachen bringen. In der Natur gilt, von Familienstrukturen mal abgesehen, immer der Darwinismus – das Recht des Stärkeren. Wann immer wir Menschen die humane Version, den Sozialdarwinismus, ausprobiert haben, waren die Auswüchse katastrophal. Das dunkelste Beispiel ist die NS-Zeit in Deutschland.
Man sollte weder versuchen aus Tieren Menschen noch aus Menschen Tiere zu machen, sondern sich vielmehr fragen, wie wir unsere menschlichen Werte einsetzen können, um Tiere und die Natur schützen zu können. Wir Menschen können gut sein. Wir können Verantwortung übernehmen. Wir sind die einzigen Lebewesen auf diesem Planeten, die Verantwortung für andere übernehmen können. Ein Orca kann keine Verantwortung für einen Tiefseewurm übernehmen. Wir schon. Und so hätte die Natur, hypothetisch gesehen, auch keinen Grund mehr, sich gegen den Menschen aufzulehnen – wenn sie dies denn können würde.