«Gehst du bitte gaaanz langsam die Treppe hinunter. Und gut am Geländer festhalten.» Solche oder ähnliche Anweisungen kennt jeder Elternteil. Und genauso wissen Eltern, wie häufig diese Anweisungen befolgt werden – eigentlich nie. Zu verlockend ist das, was am Ende der Treppe wartet. Besonders im Zoo, wo sich hinter der letzten Stiege das nächste Tier, der Spielplatz oder der Glacestand befindet. Bei so viel Motivation ist es normal, dass auch mal etwas schiefgeht. Sei dies ein aufgeschürftes Knie, ein umgeknickter Fuss oder eine Beule. Ein kleiner Unfall ist schnell passiert. Natürlich nicht nur bei Kindern, sondern auch bei unseren erwachsenen Gästen, die ähnlich motiviert durch unseren Zoo streifen. Bei über einer Million Gäste pro Jahr ist es schon rein statistisch wahrscheinlich, dass es zum einen oder anderen Malheur kommt.
So geschehen auch bei meinem letzten Wochenenddienst. «Hallo Severin, hier ist der Besucherservice. Uns ist soeben eine am Kopf blutende Frau im Elefantenhaus gemeldet worden.» Ein solcher Notruf erreicht die jeweilige Oberaufsicht des Tages, in diesem Fall also mich. Sofort habe ich die interne Meldekette aktiviert, die unsere Betriebssanität kontaktiert. Diese besteht aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich freiwillig bei unserer Betriebssanität einbringen und dafür entsprechend von uns geschult werden. Dadurch ist der Zoo in der Lage, innert weniger Minuten eine gewisse Grundversorgung bei kleineren Unfällen sicherzustellen beziehungsweise bei gröberen Unfällen auszuhelfen, bis die Profis von der Rettungssanität eingetroffen sind.
Da ich im Fall der Dame zufällig in der Nähe war, machte ich mich ebenfalls auf den Weg. Unterwegs traf ich die Mitarbeiterin der Betriebssanität, und gemeinsam betraten wir das Elefantenhaus. Die Dame sass bereits auf einem Stuhl und säuberte sich den Kopf – umringt von einer Traube besorgter, teils überinteressierter Mitmenschen. Ihr war der «Klassiker» passiert: Die linken Schnürsenkel hatten sich unbemerkt geöffnet, und sie war darüber gestolpert. Eine Inspektion unserer Mitarbeiterin ergab, dass es sich bei ihrer Verletzung nur um eine ganz leichte, oberflächliche Wunde handelte – auch wenn Blut in den Haaren immer schnell etwas wüst aussieht. Wir konnten also Entwarnung geben und in diesem Fall von einem Aufgebot der Rettungssanität absehen.
Die Dame brach ihren Zoobesuch aber trotzdem ab und fuhr mit dem Taxi nach Hause, um sich auszuruhen. Da sie ganz in der Nähe wohnt und regelmässig in den Zoo kommt, verabschiedete sie sich mit den Worten: «Nächste Woche bin ich wieder da, dann mit geschnürten Schuhen.» Und auch wir und unsere Betriebssanität sind da, um (im besten Fall nicht) auszurücken.