Die Luft ist schwül, die Vegetation üppig, in der Ferne hört man Affen rufen. Normalerweise wäre der Folgesatz: Ich gehe gerade durch unseren Masoala Regenwald. Aber dieses Mal bin ich nicht in den Tropen auf dem Züriberg, sondern auf Einladung des brasilianischen Zooverbands auf der Jahreskonferenz in São Paulo. Unsere beiden Zoos verbindet mehr, als man auf den ersten Blick meint. Schon mein Vorvorvorgänger Professor Heini Hediger wurde nach São Paulo eingeladen. 1957, damals drei Jahre in Zürich im Amt, wurde er von den brasilianischen Kolleginnen und Kollegen gebeten, ihnen bei der Entwicklung ihres ersten Masterplans zu helfen.
Gerne nahm Heini Hediger diese Einladung an und flog nach São Paulo. Anschliessend fuhr er zu einem Ort mit dem Namen Aqua Funda, 20 Kilometer ausserhalb von São Paulo. Hier, so schreibt er später, existiert noch Regenwald mit Jaguaren, Wasserschweinen und Brüllaffen. Rund 3 Millionen Menschen lebten damals schon in São Paulo. Knapp 70 Jahre später ist die Population auf über 22 Millionen angestiegen und die grösste Stadt Brasiliens hat sich fest um den Zoo gelegt. Vom unberührten Regenwald ist wenig geblieben.
Doch damals empfing Heini Hediger das wilde Grün des atlantischen Küstenregenwaldes. Er sah das unglaubliche Potenzial, das es hier gab: Viel Platz, reichlich Wasser und Pflanzen sowie eine hügelige Topografie. Hedigers Fantasie war beflügelt. Viele seiner Vorschläge fanden grossen Anklang bei den Kolleginnen und Kollegen. Allerdings nicht alle. Eine lokale Tierart hatte es Heini Hediger besonders angetan: Der Rabengeier war für ihn ein exotischer und wissenschaftlich sehr interessanter Vogel. Für diesen sah Hediger in seinem Konzept einen zentralen Platz samt Flugshow vor.
Als er diese Idee jedoch in São Paulo vorstellte, schaute ihm der dortige Direktor tief in die Augen und sagte: «Dein geliebter Vogel ist ein widerliches Vieh, das sich von Müll und Fäkalien ernährt. Unter keinen Umständen kommt der in unseren Zoo.» Hedigers Vorschlag war ungefähr so passend, als ob man uns in Zürich vorschlagen würde, eine Flugshow für Strassentauben zu machen. Doch abgesehen von diesem kleinen «Kulturclash» wurden diverse Dinge in den folgenden Jahren umgesetzt. Leider erhielt der Zoo in den letzten Jahrzehnten, inzwischen in öffentlicher Hand, nur bedingt die finanzielle Unterstützung, die er für eine zeitgemässe Weiterentwicklung gebraucht hätte.
Umso schöner war es zu sehen, dass der Zoo, seit kurzem Teil einer Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft, einen neuen sehr ambitionierten Masterplan aufgestellt hat. Genau wie unser Masterplan ist dieser auf 30 Jahre angelegt und wird wegweisend für die brasilianische Zoolandschaft sein. Umso spannender war daher das Treffen, ein Austausch über zwei ambitionierte Masterpläne. Dieses Mal ohne Rabengeier, aber immer noch mit viel tropischen Ambiente.