Ein Flachlandgorilla und ein Waldrapp haben nicht nur die Farbe Schwarz gemein, beide Arten sind vom Aussterben bedroht. Doch während dem Gorilla spätestens seit der bekannten Zoologin und Verhaltensforscherin Dian Fossey die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit sicher ist, kümmert ein hühnergrosser, schwarzer und (mit Verlaub) eher hässlicher Vogel nur die wenigsten. Für die Berühmtheiten unter den bedrohten Arten gibt es sogar einen eigenen Namen: «Umbrella Species» – auf Deutsch: Regenschirm-Arten. Der Gorilla spannt im übertragenen Sinn einen Regenschirm auf, unter dem viele andere Arten ebenfalls Platz finden, einen «Geld-Regenschirm» und einen «Platz-Regenschirm». Mit seinem Charisma schafft es der Gorilla, dass für seinen Schutz viel Geld gespendet wird. Geld, das auch den vielen anderen, weniger attraktiven Tieren in der Heimat des Gorillas zugutekommt. Wenn die Heimat des Gorillas, der zentralafrikanische Regenwald, geschützt wird, profitieren davon alle dort lebenden Arten.
Der «Platz-Regenschirm» bedeutet, dass es für den effektiven Schutz von Gorillas viel Platz braucht. Da Gorillas gross sind und in Familiengruppen leben, leuchtet das vielen Leuten ein. Davon profitieren wiederum die unscheinbaren Arten. Je grösser die geschützte Fläche für Gorillas ist, desto mehr unterschiedliche kleine Tierarten (manche von ihnen leben nur auf einem Baum) werden also mitgerettet. Aber: Auch für Regenschirm-Arten müssen Zoos Reservepopulationen aufrechterhalten, denn selbst bei charismatischen Arten funktioniert der Schutz nicht in genügendem Mass.
Jahr für Jahr sinkt die Gorillapopulation um bis zu vier Prozent – somit werden innerhalb von drei Generationen 80 Prozent der ursprünglichen Population verschwunden sein. Wenn das so weitergeht, gibt es bald keine Gorillas mehr in der Wildnis. Doch ans Auswildern der Gorillas ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu denken. In den geschützten Gebieten geht es den Gorillas gut – es hat aber nicht genug von solchen Gebieten. Ausserhalb dieser sicheren Häfen machen den Gorillas aber Ebola, die Jagd und Lebensraumzerstörung zu schaffen. Da die Ursachen der Bedrohung nicht beseitigt werden können, wäre das Auswildern der Tiere oft nicht nachhaltig. Natürlich gibt es diverse Beispiele, wo aus Zoos grosse Säugetierarten wieder ausgewildert wurden.
Das Zürcher Spitzmaulnashorn Olmoti ist ein prominentes Beispiel – es wurde 2014 im Zoo Zürich geboren und lebt mittlerweile in Afrika. In allen Fällen braucht es für die Tiere Fläche, und diese wird mit einer wachsenden Weltbevölkerung zunehmend knapper. Über die letzten 60 Jahre wuchs die Bevölkerung der Schweiz von 5,3 auf 8,7 Millionen an. Ein Zuwachs von über 60 Prozent. Dieses Bevölkerungswachstum führt auch in der Schweiz zu immer weniger Raum für die Natur – erst recht für grosse Säugetiere. Eindrückliches Beispiel ist die intensiv geführte Debatte, wie viele Wölfe eine dicht besiedelte Schweiz verträgt. In den gleichen 60 Jahren wuchs die Bevölkerung von Gabun, dem Hauptverbreitungsgebiet der Gorillas, um 367 Prozent, von ungefähr 0,5 Millionen auf über 2,3 Millionen. Man kann sich aufgrund dieser Zahlen vorstellen, wie schwierig es ist, weitere gut geschützte Gebiete für den Schutz der Regenschirm-Art Flachlandgorilla zu schaffen – auch wenn dies dringend nötig wäre.