Zoologisch – Zoodirektor Severin Dressen erklärt
Natur pur

Im Zoo Basel musste ein Orang-Utan-Baby eingeschläfert werden. Der Direktor des Zoos Zürich schreibt über die schweren Entscheidungen, die Zoowärter manchmal treffen müssen, und wie diese mit dem Gesetz der Natur zusammenspielen.
Publiziert: 15.02.2023 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.02.2023 um 13:34 Uhr
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Gorilla-Baby Mahiri (Westlicher Flachlandgorilla). Dieses Bild ist älter, der Zoo Zürich hat derzeit keinen Nachwuchs.
Foto: Zoo Zürich/Maria Schmid
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Severin DressenDirektor des Zoo Zürich

Letzte Woche mussten die Kolleginnen und Kollegen im Zoo Basel eine schwere Entscheidung fällen. Die Mutter eines Orang-Utan-Babys war über Nacht überraschend verstorben, und da sich weder im Zoo Basel noch in den umliegenden Zoos (wie dem Zoo Zürich) eine passende Leihmutter fand, wurde das Jungtier eingeschläfert. Eine Handaufzucht war zu Recht keine Option. Doch was ist eine Handaufzucht eigentlich genau? Bei Tieren können wir grundsätzlich unterscheiden zwischen Arten, die eine Form der Brutpflege betreiben, und Arten, die dies nicht tun. Zu der Gruppe der Tiere ohne Brutpflege zählen viele Fische, Reptilien und Amphibien. Sie legen ihre Eier ab, die Jungtiere schlüpfen und müssen ohne jegliche Hilfe der Eltern auskommen. Sie wissen instinktiv, was zu tun ist. Wenn wir solche Tiere in Zoos halten, dann stellt sich die Frage der Handaufzucht nicht. Wir müssen einzig dafür sorgen, dass das angebotene Futter und die Klimabedingungen ideal auf die Jungtiere zugeschnitten sind.

Bei vielen anderen Tieren, besonders bei Vögeln und Säugetieren, aber auch bei manchen Amphibien, Reptilien und Echsen sind die Elterntiere in irgendeiner Form in die Aufzucht involviert. Besonders stark ausgeprägt ist dies bei Säugetieren, die ihrem Namen alle Ehre machen und die Jungen über längere Zeit mit Milch versorgen. Die Art, in der sich die Elterntiere um ihre Jungen kümmern, kann sehr unterschiedlich sein. Begonnen mit dem Schutz: Die Elterntiere verteidigen die Eier und Jungtiere gegen Fressfeinde. Dies kennen wir beispielsweise von Krokodilen, die ihr Nest bewachen. Etwas komplexer wird es, wenn Eltern ihre Kinder füttern. Bei vielen Vögeln versorgen die Eltern ihre Küken nach dem Schlupf im Nest (Nesthocker) oder zeigen den herumlaufenden Küken (Nestflüchter), wie man richtig pickt und so das Futter aufnimmt. Am komplexesten ist die Rolle bei den Säugetieren, besonders bei sozial lebenden Tieren, die ihre Jungen nicht nur schützen und sie mit Nahrung versorgen, sondern ihnen auch viele andere Dinge beibringen. Hier sticht der Orang-Utan noch mal hervor, da er im Tierreich mit am längsten braucht, um sein Kind alles zu lehren. Bis zu neun Jahre vergehen in der Natur zwischen zwei Geburten.

Je komplexer die Rolle der Elterntiere ist, desto schwieriger ist die Simulation durch uns Menschen. Beim Beispiel von Krokodilen ist es einfach: Wir müssen im Zoo als «Ersatzeltern» nur dafür sorgen, dass die Krokodil-Babys nicht gefressen werden. Bei Vögeln wird es schon schwieriger. Wenn ein Mensch viel Zeit mit einem Kranich-Küken verbringt und ihm zeigt, was es fressen muss und wie es die Nahrung picken soll, ist die Gefahr gross, dass der Kranich nach einer Zeit anfängt zu denken, er wäre selbst ein Mensch, und sich später eher für Menschen als für andere Kraniche interessiert. Wir sagen in so einem Fall, dass der Kranich auf den Menschen geprägt ist. Je intensiver eine solche Zeit zwischen einem Tierkind und einem Menschen ist, desto grösser ist die Gefahr trotz aller Umsicht, dass die Tiere auf den Menschen geprägt werden. Diese Gefahr wird umso grösser, je komplexer die Tierart ist. Beim Kranich geht es «nur» um das Futterpicken (oder zumindest gehen wir davon aus). Bei sozialeren Tieren aber geht es um ganz viele Verhaltens- und Kommunikationsweisen, die wir Menschen dem Jungtier nie beibringen könnten, da wir sie gar noch nicht erforscht haben oder sie als Mensch schlicht nicht verstehen. Deshalb gehen wir moderne Zoos immer mehr in die Richtung, Handaufzuchten, wo immer es geht, zu vermeiden. Zu gross ist die Gefahr, auf Menschen geprägte Tiere zu erhalten. Damit tut man weder dem Tier noch der bedrohten Art einen Gefallen. Auch wenn dies bedeutet, das Jungtier, wie im Fall von Basel, einzuschläfern. Ein harter, aber richtiger Entscheid.

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