Waren Sie schon mal mit dem Auto in Italien? Vor Baustellen wird dort die Höchstgeschwindigkeit extrem reduziert – manchmal sogar von 90 auf 10 km/h! Natürlich richtet sich niemand nach den Verbotsschildern, das wäre lebensgefährlich: Man fährt einfach nach eigenem Gusto mit 40 oder 50 km/h durch die Baustelle.
Vielleicht ist dieses menschliche Verhalten auch der tiefere Grund dafür, warum die Corona-Fallzahlen derzeit in keinem erkennbaren Verhältnis zur Strenge der Massnahmen stehen.
In Frankreich darf sich niemand weiter als zehn Kilometer von zu Hause entfernen, ab 19 Uhr gilt eine komplette Ausgangssperre. Und doch haben unsere französischen Nachbarn massiv mehr Corona-Fälle als die Schweiz – sie rangieren weltweit in den Top Ten!
Auch in Deutschland gelten strengere Regeln als bei uns. Und doch registriert man im Verhältnis zur Bevölkerungszahl etwa gleich viele Fälle. Dort wie hier steigen die Zahlen im Augenblick an, doch Deutschland verschärft, die Schweiz lockert die Abwehrmassnahmen.
Berlin will jetzt mit einem «Notbremse-Gesetz» dafür sorgen, dass ab einer 7-Tage-Inzidenz von 100 (der Wert in der Schweiz liegt derzeit bei knapp 200) automatisch eine polizeilich überwachte Ausgangssperre gilt. Bei uns öffnen am Montag Terrassen, Fitnesscenter, Kinos und Kulturveranstaltungen.
Unser Land ist auch bei Corona der Sonderfall inmitten eines Europas, das offenbar komplett andere Massstäbe setzt!
Blick-Politikchefin Sermîn Faki kommentierte diese Woche: «Die Landesregierung reagiert auf die Stimmung im Land. In dieser Lage zeigt sie Mut zum Risiko – und das zu Recht.»
Die Schweiz kennt seit Beginn der Pandemie deutlich mehr Freiheiten als unsere Nachbarn – offene Skipisten, offene Hotels, von Ausgangssperren keine Spur.
Warum aber gibt es zwischen der Strenge staatlicher Massnahmen und der Anzahl von Neuinfektionen offenbar keine Korrelation? Sind wir disziplinierter? Ist es Zufall? Haben wir einfach Glück? Oder sind die Massnahmen weit weniger wirkungsvoll, als immer behauptet wird?
Diese Fragen werden noch Generationen von Forschern beschäftigen. Auch ein definitives Urteil über die Arbeit des Bundesrats wird erst die Zukunft erlauben.
Man kann unsere Regierenden zu Recht für dieses oder jenes kritisieren: Mal sind sie zu forsch, dann wieder zu lasch und fast nie konsequent. Dennoch lässt sich heute, am 17. April 2021, feststellen:
Die Schweizerinnen und Schweizer sind bis jetzt im Durchschnitt viel müheloser durch die Krise gekommen als unsere Nachbarn – mit weniger Einschränkungen, mit mehr Freiheit, mit schnellerer Hilfe, mit mehr Pragmatismus und weniger Wahlkampf- oder Parteigeplänkel.
Es würde mich nicht wundern, wenn das Urteil eines Tages eher gnädig ausfallen würde: dass unser Milizsystem auch in der Krise die besseren Entscheide hervorbringt, mit unaufgeregten Köpfen an der Spitze, die es gewohnt sind, sich zusammenraufen und einen Kompromiss finden zu müssen.