Noch elf Tage
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BlickPunkt zum Ende einer Ära:Noch elf Tage

BlickPunkt über das nahende Ende eines US-Präsidenten ohne Ehre
Noch elf Tage

Hätte Donald Trump klüger auf Corona reagiert, wäre er problemlos wiedergewählt worden. Und hätte er seine Abwahl akzeptiert, wäre er weiterhin ein Machtfaktor. So aber demontierte er sein Ansehen wie kein US-Präsident zuvor.
Publiziert: 09.01.2021 um 01:16 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2021 um 19:59 Uhr
Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe.
Foto: Shane Wilkinson
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

Kein Jahr ist es her, seit der US-Präsident am WEF in Davos eine Wahlkampfrede hielt und triumphierend in den Saal rief: «Der amerikanische Traum ist zurück!»

Mit Dutzenden statistischen Kennziffern belegte Donald J. Trump (74), wie die Vereinigten Staaten unter seiner Führung zur wirtschaftlichen Blüte zurückgefunden hatten: die Arbeitslosigkeit auf dem tiefsten Stand der Geschichte, die Einkommen höher, die Steuern niedriger, neue Fabriken, neue Arbeitsplätze, neue Zuversicht ...

Tatsächlich brummte die US-Wirtschaft vor einem Jahr wie nie zuvor. Und kaum jemand zweifelte daran, dass Trump wiedergewählt würde. Bald darauf demontierte sich der 45. Präsident der USA in einem Ausmass, wie es die Welt noch nie gesehen hat.

Es begann mit seiner Fehleinschätzung von Covid-19: Zunächst spielte er die Pandemie als saisonale Grippe herunter. Dann behauptete er, das Virus werde «wie durch ein Wunder verschwinden», verniedlichte seine Gefährlichkeit und empfahl allen Ernstes, die Injektion von Desinfektionsmitteln zu prüfen. Todesziffern, Firmenpleiten und das Leiden grosser Teile der US-Bevölkerung aber nahmen exponentiell zu.

Auch andere Staatschefs haben Corona unterschätzt. Aber keiner setzte die Gesundheit der Bevölkerung so sehr aufs Spiel. Denn der US-Präsident wollte einfach nicht wahrhaben, dass jemals etwas Grösseres kommen könnte als er selbst.

So bewies Trump endgültig, dass er ein Provokateur ist und kein Staatsmann, dass es ihm stets nur um sein eigenes Wohlergehen geht und nicht um sein Land. Hätte er seinen Führungsauftrag ernst genommen und das Volk in dieser schweren Stunde geeint, statt es noch weiter zu spalten – er wäre problemlos wiedergewählt worden. In Zeiten der Krise vereint sich das US-Volk traditionell hinter seinem Präsidenten.

Sogar nach seiner knappen Wahlniederlage vom 3. November hätte sich Trump noch problemlos eine wichtige Rolle für die Zukunft sichern können. Hätte er bloss die Grösse besessen, die Niederlage einzugestehen. Dann wäre er weiterhin der Anführer jener 74,2 Millionen Amerikaner, die ihn gewählt haben: der starke Oppositionsführer, der unumstrittene Leader der Republikanischen Partei, der heisseste Anwärter für die Wahlen 2024.

Trump aber peitschte seine Anhänger auf, sprach von der Notwendigkeit, in historischen Situationen stark zu sein, drängte: «Die Stunde des Handelns ist gekommen» und rief in die dampfende Menge: «Wir marschieren jetzt zum Kapitol!» Wen wundert es da, wenn seine fanatischen Anhänger dann tatsächlich dieses Denkmal der Demokratie verwüsten?

Nun nützt Trump auch seine beschwichtigende Videobotschaft von gestern nicht mehr. Im Gegenteil: Es wirkt wie Hohn, wenn er jetzt eine harte Bestrafung der Randalierer fordert, die er eben noch zum Randalieren aufgefordert hat.

Nie zuvor ruinierte ein US-Präsident so mutwillig das eigene Ansehen, brach so rücksichtslos mit allen wichtigen Verbündeten, zerstörte noch den letzten Funken seiner Ehre.

Weltweit lachen sich Diktatoren und autoritäre Herrscher von Schurkenstaaten ins Fäustchen. Irans Präsident Hassan Rohani (72) zum Beispiel erkennt in diesem Drama «ein Zeichen für die Schwäche und Fragilität der westlichen Demokratie».

Doch alle Schadenfreude ist umsonst: Die Demokratie übersteht auch einen Donald J. Trump. Noch elf Tage, dann ist dieses Kapitel abgeschlossen.

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