So sehr ich Krimis liebe – Hand aufs Herz, manchmal ist die Lektüre bei aller Spannung auch ärgerlich: Literarisch ist das Genre oft unterirdisch; wenn dann bei rein handlungsgetriebener Spannung auch noch Plotlöcher dazukommen, ärgert man sich doppelt. Beides kommt beim Autor Christoffer Carlsson (37) nicht vor. Zum einen, weil der mit dem skandinavischen Krimipreis 2024 ausgezeichnete Autor Kriminalistik studiert hat, bevor er mit dem Schreiben angefangen hat. Zum anderen, weil der Autor über eine ganz eigene, verdichtete und lakonische Sprache und damit über eine wirklich herausragende literarische Qualität verfügt.
Wer seine Hirnzellen mittels Strandlektüre ganz ausschalten will, ist aber bei der Geschichte um den Teenager Mikael, der vor 20 Jahren nach dem Besuch einer Party im ländlichen Halland (Schweden) erschlagen aufgefunden, wurde, falsch – als in der Jetztzeit auch noch dessen jüngerer Bruder ermordet wird, geht ein ehemaliger Freund der beiden, Sander Eriksson, dem damaligen Beziehungsgeflecht seiner Clique auf den Grund. Wer in wen verliebt war, warum Sanders bester Freund Killian damals bis zur kompletten Unkenntlichkeit verbrannt tot in einem gestohlenen Auto aufgefunden wurde und warum es mit Sanders grosser Jugendliebe nicht geklappt hat, wird atmosphärisch dicht aufgedröselt.
Wer sein Hirn eingeschaltet lässt, wird mit einer grandiosen Geschichte belohnt
Man muss beim Personenarsenal und den Zeitsprüngen also einigermassen dranbleiben, dafür wird man mit einer nicht nur kriminalistisch hochstehenden Geschichte belohnt, sondern auch mit einer Reflexion darüber, was es bedeutet, erwachsen zu werden, seine Träume zu verraten – oder eben auch nicht – und füreinander einzustehen. Hinreissend!
Christoffer Carlsson: «Wenn die Nacht endet», 2024, Rowohlt, 464 Seiten, ca. 37 Franken