Eigentlich sind ja diese Zeilen jeweils eine «Tatort»-Kolumne, die aufgrund der Sommerpause in eine Freestyle-Krimikolumne umgewandelt wird. Aber manchmal reicht es mit Mord und Totschlag. Insbesondere, wenn man so nett und unverhofft abgelenkt wird.
Und zwar von der neuen Netflix-Doku «Kaulitz & Kaulitz». Sie erinnern sich, die deutschen Zwillinge Bill und Tom, die mit ihrer Emo-Boy-Band Tokio Hotel ab 2005 für kollektive Herzstillstände bei Heerscharen von Teeniemädchen sorgten. Persönlich war ich viel zu alt, um Fan gewesen zu sein, der Appeal war aber klar: Die Zwillinge waren mit konventionell schönen Gesichtern gesegnet, Sänger Bill, eine Art Goth-Barbie-Feen-Plastik-Wesen, schien von einem anderen Stern zu stammen, Gitarrist Tom sorgte mit Dreadlocks, Cap und breiten Hosen für die Hip-Hop-Street-Cred, Mädchen kreischten.
Viel Lachen und ein unzerstörbares Band
Jetzt sind die Brüder 34 und leben in Hollywood. Tom macht auf Jason Momoa und hat Heidi Klum geheiratet, Bill ist blondiert, hat noch immer ein Faible für extravagante Outfits und sucht einigermassen unbeholfen die grosse männliche Liebe. Vieles ist, wie schon immer, Kommerz pur – aber man weiss nach der seltsam süchtig machenden Doku, warum die beiden zu Superstars wurden: Weil man ihnen unglaublich gerne auch bei Belanglosem zusieht. Beim (ansteckenden) Lachen, beim Streiten, beim Versöhnen, beim Sich-die-Sätze-Vervollständigen. Weil sie bei allem immer sich selber haben, unglaublich sympathisch sind und man sich in der heutigen Zeit mit genereller Unsicherheit wünscht, man hätte auch einen Zwilling, der einen blind versteht und unverbrüchlich lebenslang zu einem hält. Feel-Good-TV pur!
«Kaulitz & Kaulitz», jetzt auf Netflix