Heute, am 12. November, ist Internationaler Tag des Zungenbrechers. Gleichzeitig feiern wir den hundertsten Geburtstag des deutschen Humoristen Loriot (1923–2011). Berücksichtige ich beides, kommt mir unweigerlich Evelyn Hamann (1942–2007) in den Sinn, die im Loriot-Sketch «Inhaltsangabe» grandios am englischen «th» scheitert: «Dort triffth thie Priscilla Molesworth …» Oder Loriots Zeichentrickfilm «Der sprechende Hund»: Der Hund stösst einen lang gezogenen, jaulenden Klagelaut aus. Der Reporter fragt: «Was hat er denn jetzt wieder gesagt?» Dr. Sommer: «Fischers Fritze fischt frische Fische …»
«Natürlich: Ein Zungenbrecher», schreibt der deutsche Schriftsteller Florian Werner (52) in seinem kürzlich erschienenen Buch über die Zunge, worin er den sprechenden Hund zitiert. «Der Loriot-Sketch zeigt: Für die Kulturtechnik der Sprache reicht es nicht aus, dass man eine Zunge hat – man muss sie auch zu verwenden wissen.» Und das «Muskelpaket» – vier Muskeln durchziehen die Zunge von hinten nach vorne, einer verläuft in Links-rechts-Richtung und ein weiterer von oben nach unten – kann allerhand: «Dank dieser muskulären Dreidimensionalität ist die Zunge das beweglichste Organ des menschlichen Körpers.»
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Der vielseitig interessierte Werner, der eine Doktorarbeit über den Musikstil Rap schrieb, mit dem Sachbuch «Die Kuh» (2009) einen Bestseller landete und einen Porträt-Band über «Schnecken» (2015) veröffentlichte, liefert nun fast schon folgerichtig ein Porträt der Zunge ab: «Sie ähnelt (…) einem wirbellosen Weichtier, etwa einem Wurm oder einer Nacktschnecke: Tieren, die ebenfalls (und aus ähnlichen Gründen wie die Zunge) als ekelerregend gelten.» Wie vieles, das aus dem Innern des Körpers kommt – Kot, Blut, Speichel –, soll die Zunge deshalb im Verborgenen bleiben.
«Die Zunge – ein Portrait», Hanser Berlin
«Die Zunge – ein Portrait», Hanser Berlin
Doch seit geraumer Zeit konstatiert Werner in Kunst, Musik und Literatur einen toleranteren Umgang mit der Zunge. Den «Übergang zum Glossozän» (Werner) – dem Zeitalter der Zunge – erkennt er in der 1951 entstandenen Fotografie des schweizerisch-US-amerikanischen Physikers Albert Einstein (1879–1955) mit der herausgestreckten Zunge: «Das ikonische Motiv (…) konnte vermutlich nur deshalb so berühmt werden, weil man so etwas als Professor und Physik-Nobelpreisträger eigentlich nicht macht.» Einstein bereitete den Weg für die züngelnden Auftritte der Rockband Kiss oder das Markenzeichen der Rolling Stones.
Vor allem sorgte der Naturwissenschaftler für eine Ehrenrettung der Zunge, denn ohne sie könnten wir nicht leben: Das Kleinkind ertastet mit ihr Gegenstände, schmeckt Speis und Trank, lernt zu lallen, später zu sprechen und schliesslich zu küssen – was im Erwachsenenalter neues Leben zur Folge haben kann. Denn beim Küssen zeige sich, so Werner, «die Doppelnatur der Zunge, ihre unauflösliche Spannung zwischen Kultur und Natur».