Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Der Kampf um Computerchips bestimmt unsere Zukunft

Sie können kleiner als ein Virus sein und sind in fast jedem elektronischen Gerät: Chips. In den USA entwickelt, hat ein Amerikaner die weltweit wichtigste Fabrik ausgerechnet in Griffnähe Chinas errichtet – mit Auswirkungen bis heute.
Publiziert: 24.10.2023 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 21.10.2023 um 12:37 Uhr
Die weltweit wichtigste Chip-Fabrik TSMC ist auf Taiwan, das China einverleiben will.
Foto: IMAGO/NurPhoto
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Dieses Jahr jagen sich solche Schlagzeilen: «China simuliert mit Manövern die Invasion Taiwans» (4.4. in der «NZZ»); «China schickt erneut Kampfflugzeuge über die Grenzlinie zu Taiwan» (4.7. in der «Handelszeitung»); «Taiwan: Dutzende chinesische Kampfjets vor Küste» (14.9. im Blick). Der Grosse will den Kleinen vernichten – was Russland in der Ukraine vormacht, möchte China auf Taiwan nachahmen. Doch was kümmert uns der Ferne Osten, denn der russische Überfall findet in Europa statt. 

Taiwan ist allerdings näher, als wir denken – in jedem unserer Smartphones. «Die Herstellung immer kleinerer Computerchips bleibt die grösste technische Herausforderung unserer Zeit», schreibt der US-Amerikaner Chris Miller in seinem unlängst auf Deutsch erschienenen Bestseller. «Derzeit gibt es kein Unternehmen, das Chips mit grösserer Präzision herstellt als die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, besser bekannt als TSMC.» 2020 stellte TSMC einen Chip her, der halb so gross ist wie ein Coronavirus.

«Der Chip-Krieg» betitelt Miller martialisch sein Buch. Der Professor für Internationale Geschichte an der Tufts University in Massachusetts schreibt denn auch eindringlich: «Der Zweite Weltkrieg wurde durch den Zugang zu Stahl und Aluminium entschieden.» Bald darauf sei der Kalte Krieg gefolgt, in dem die Vormachtstellung über Atomwaffen definiert worden sei. «Jetzt könnte die Rivalität zwischen den USA und China über die Rechenleistung entschieden werden.»

Dabei hatten es die USA, die Erfinder der Chiptechnologie, nicht immer mit China als Gegner zu tun. Miller erzählt die Geschichte von der Entwicklung des ersten Halbleiters im Jahr 1945 bis in die Gegenwart wie einen Krimi mit wechselnden Fronten: Zunächst treten in den 1960ern die Sowjets auf den Plan («Kopieren Sie das!»), dann in den 1980ern die Japaner, die sich weit aggressiver zeigen («Im Krieg mit Japan») und schliesslich ab 2014 die Chinesen («Aufruf zur Attacke»).

Miller zeigt auf, dass sich die USA ihre Probleme meist selber einheimsten. So hat man einerseits Morris Chang (92) als CEO von Texas Instruments übergangen, worauf er 1987 ausgerechnet vor der Haustür Chinas TSMC gegründet hat. Andererseits haben sich US-Firmen wie Microsoft und Apple gleich ins China-Haus begeben und ihre Chip-Produktion dorthin ausgelagert – eine Entwicklung, die die US-Regierungen Trump und Biden wieder rückgängig machen wollen.

Doch China ist längst auf den Geschmack gekommen. «Kein anderes Land nutzt die digitale Welt so wirkungsvoll für autoritäre Zwecke wie China», schreibt Miller. «Es wäre naiv anzunehmen, dass das, was in der Ukraine passiert ist, nicht auch in Ostasien passieren könnte.» Mit Blick auf die Bedeutung von Chips in diesem Krieg haben chinesische Regierungsanalysten bereits gefordert, TSMC zu erobern, falls sich die Spannungen zwischen den USA und China verschärfen.

zVg
Chris Miller

«Der Chip-Krieg – wie die USA und China um die technologische Vorherrschaft auf der Welt kämpfen», Rowohlt.

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«Der Chip-Krieg – wie die USA und China um die technologische Vorherrschaft auf der Welt kämpfen», Rowohlt.

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