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Wo die Velo-Demo Critical Mass ihren Anfang nahm

«There are nine million bicycles in Beijing», singt Katie Melua (38) in ihrem Hit-Song. Doch das kommunistische Regime erkannte die subversive Kraft des Velos und verdrängte es mehr und mehr aus der chinesischen Hauptstadt.
Publiziert: 20.08.2023 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2023 um 09:10 Uhr
In der Masse eine Macht: Die Velodemonstration «Critical Mass» am 28. Juli in Zürich.
Foto: keystone-sda.ch
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Es war gelb. Und ich fühlte mich darauf als Knirps wie auf einem Töffli, machte während der Fahrt dementsprechend Motorengeräusche. Doch ich brauste nicht schnurgerade davon, sondern schwankte bedrohlich, denn es war mein erstes Velo. Die Bremsen hatte ich noch nicht ganz im Griff. Das merkte ich nach der zehnten Runde in der Garage des Mehrfamilienhauses, als plötzlich das Tor aufging und ein Auto hereinfuhr. Aber gelernt ist gelernt – und heute noch, wenn ich mich auf den Sattel schwinge, fühle ich mich stark.

«Die meisten Menschen lernen als Kinder, Fahrrad zu fahren», schreibt der «New York Times»-Journalist Jody Rosen (54) in seinem diesen Sommer erschienenen Buch. «Wir verlernen es nie wieder, und ebenso wenig vergisst man die erste Fahrt mit dem Rad.» Wenige Übergänge im Leben seien derart abrupt und endgültig: «Von einem Moment auf den anderen ist man Radfahrer.» Und nur eine Hirnverletzung oder eine neurologische Katastrophe könne einem diese magische Fähigkeit rauben.

Um den Zauber zu bewerben, zeigen frühe Veloreklamen um 1900 engelsgleiche Frauen, die im Himmel um Sterne kurven. Und tatsächlich habe ein Tretrad die Sphäre des Irdischen verlassen, so Rosen – als stabilisierter Heimtrainer 350 Kilometer über der Erdoberfläche in der Internationalen Raumstation ISS. Und sogar 3,5 Kilometer unter Meeresspiegel seien solche Standräder zu finden – im Gymnastikraum des gesunkenen Passagierdampfers «Titanic» vor der Küste Neufundlands.

Vereinzelt in der Vertikalen, verbreitete sich das Rad in der Horizontalen massenhaft. Und Masse ist Macht. «Es war eine Sache der kritischen Masse», zitiert Rosen den New Yorker Velodesigner George Bliss. «Eine Weile sammelten sich die Radfahrer, und wenn der Pulk gross genug war, fuhren sie gemeinsam los.» Bliss beobachtete das Phänomen in der südchinesischen Millionenstadt Guangzhou bei Velofahrenden, die so gefährliche Kreuzungen zusammen überqueren, und prägte damit den Begriff «Critical Mass».

Bei uns steht «Critical Mass» heute für einmal im Monat stattfindende Velodemonstrationen. Die Ersten, die auf Zweirädern ihre Rechte einforderten, waren Feministinnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 1989 war das Velo tragendes Element bei den Studentenprotesten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking – und 2020 das Vehikel der «Black Lives Matter»-Bewegung in den USA. Das war zu viel: Die US-Cops beschlagnahmten die Räder, Chinas Panzer fuhren sie gleich platt.

In Guangzhou, wo der Begriff «Critical Mass» seinen Anfang nahm, reduzierte das kommunistische Regime den Veloverkehr seither drastisch. Shanghai verhängte ein Fahrradverbot in bestimmten Bereichen der Innenstadt. «In der grossen Fahrradstadt Peking waren die Veränderungen besonders dramatisch», schreibt Rosen. «1996 gab es in der Hauptstadt geschätzt neun Millionen Fahrräder.» Nach nur 15 Jahren sei die Zahl der Velos auf unter vier Millionen gesunken – Katie Melua (38) müsste ihren Hit umschreiben.

zVg
Jody Rosen

«Zwei Reifen, eine Welt – Geschichte und Geheimnis des Fahrrads», Hoffmann und Campe

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«Zwei Reifen, eine Welt – Geschichte und Geheimnis des Fahrrads», Hoffmann und Campe

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