Kürzlich berichtete «Der Spiegel» von einem Wunder: Während überall Klöster mangels Interesse schliessen müssen, eröffnen Benediktinerinnen in Köln (D) eine Dependance, weil sie derart viel Zulauf erleben. Man habe ja noch die Schwestern, sagen viele dort, bei denen der örtliche Pfarrer nichts taugt oder die sich über den Bischof nerven. Auf diese Frauen hört die Bevölkerung, ihr Wort hat unglaublich viel Gewicht. Eine Sensation, denn normalerweise haben Nonnen in der heutigen Gesellschaft nichts zu sagen.
«Unerhörte Frauen» heisst der doppelsinnige Titel des eben erschienenen Buchs von den deutschen Mittelalterhistorikerinnen Henrike Lähnemann (55) und Eva Schlotheuber (63). «Unerhört» im Sinn von «unglaublich», aber auch in der Bedeutung von «nicht erhört». «Ungehört wurden diese Nonnen erst in der Moderne, sodass jede Sichtbarmachung eine kleine Revolution ist», schreiben die beiden im Vorwort. Die mittelalterliche Gesellschaft habe ihnen einen besonderen Status verliehen, der «es den Frauen erlaubte, unerhört wirksam zu werden».
«Die Netzwerke der Nonnen im Mittelalter», lautet denn auch der Untertitel, der an moderne, mafiöse Männerbünde gemahnt. Doch was Herren heute perfekt beherrschen – leider oft zum Schlechten –, das konnten die mittelalterlichen Damen schon lange zum Guten. Standen bis anhin Ausnahme-Nonnen wie Hildegard von Bingen (1098–1179) oder vielleicht noch Mechthild von Magdeburg (1207–1282) im Fokus, so zeigt dieses Buch, dass sich die Frauen in der klösterlichen Gemeinschaft schon wirksam verbünden konnten.
Diese neue Gesamtbetrachtung ist einer Einzelleistung zu verdanken: In ihrer Habilitationsschrift zum Erreichen der Professur an der Universität Münster (D) analysierte Eva Schlotheuber das zwischen 1484 und 1507 entstandene Konventstagebuch einer anonymen Nonne aus dem Zisterzienserkloster von Heilig-Kreuz bei Braunschweig (D) als Quelle zur «innerklösterlichen Organisation» und zu den «Beziehungen zwischen dem Kloster und seinem unmittelbaren sozialen Umfeld».
«Wir möchten möglichst viele der vergessenen Stimmen wieder hörbar machen», schreiben Lähnemann und Schlotheuber. Darum hätten sie sich dazu entschlossen, jedes Kapitel mit einem Bericht aus dem Konventstagebuch der Zisterzienserin zu beginnen, «Berichte aus erster Hand zu Läusen, Lebkuchen und Liebesbezeugungen für Christus». Somit gibt das Buch einen wunderbaren Einblick in Klausur und Ausbildung der Nonnen, ihre Beziehungen zu Familie und Gesellschaft sowie das Sterben hinter Mauern.
«Die Netzwerke der Nonnen ermöglichten sowohl einen Austausch über Behandlungsmethoden wie eine Teilhabe am Totengedenken durch die Gebetsverbrüderungen», steht im Buch. In dieser Hinsicht seien die Nonnen innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft eine ganz eigenständige Kraft und eine starke Stimme gewesen. «Und von ihrem himmlischen Bräutigam, von Christus, davon waren sie fest überzeugt, wurden sie ganz bevorzugt erhört und erhöht.»
«Unerhörte Frauen – die Netzwerke der Nonnen im Mittelalter», Propyläen
«Unerhörte Frauen – die Netzwerke der Nonnen im Mittelalter», Propyläen