Ein Huhn, das mit Gabel und Messer im Rücken über die Landschaft fliegt, ein ebenfalls bestecktes Schwein, das an einem Baum mit Schinken und Würsten vorbeischlendert: Diese Zeichnungen aus «Globi im Schlaraffenland» faszinierten mich als Kind ungemein. Später sah ich im Museum das Motiv in Farbe: das Gemälde «Das Schlaraffenland» von Pieter Bruegel dem Älteren (1525–1569) – wieder ein laufendes Schwein, dieses Mal ein Stück aus dem Rücken rausgeschnitten, aber kein Tropfen Blut. Und nirgendwo ein Apfel, keine Kartoffel.
«Fleisch und Kartoffel standen an den entgegengesetzten Polen des Nützlichkeitsspektrums», schreibt die deutsche Kulturwissenschaftlerin Laura-Elena Keck (37) in ihrer unlängst veröffentlichten Dissertation über den Fleischkonsum im Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Mit dem Aufkommen industrieller Schlachthöfe nahm der Konsum rasant zu, das tierische Produkt galt als «Supernahrungsmittel» und Eiweissquelle. Keck: «Die Kartoffel war um 1900 Sinnbild für eine armutsbedingte und physiologisch nicht rationale Ernährungsweise.»
Macht Keck eine minutiöse wissenschaftliche Aufarbeitung der Vergangenheit, unternimmt Joël Luc Cachelin (41) eine spielerische, nicht minder wissenschaftliche Reise in die Zukunft, wo dieser industrielle Fleischkonsum zu Ende geht. «Veganomics» heisst das kürzlich erschienene Buch des studierten Berner Betriebswirtschaftlers. Der selbst ernannte Futurist hat Interesse für Veränderungen und begibt sich auf wissensfabrik.ch immer wieder auf Zeitreisen, worüber er dann Bücher publiziert, etwa «Kultur 2040».
Nun gehts ins Jahr 2045 zu einem Kongress nach Karnivoria, die Insel der Fleischesser. Sie ist nach dem «perfekten Sturm» von Europa übrig geblieben – neben dem Archipel Vegania, wo sich die vegane Revolution in vier Varianten durchgesetzt hat: Auf Chlorella hat man sich ganz den Pflanzen verschrieben; High Tech Islands vertrauen auf neue Technologie; Tenebrio ersetzt Rohstoffe von Kühen und Hühnern durch Insekten, Muscheln und Quallen; und auf Zirkula setzen die Menschen auf Kreislaufwirtschaft – verbrannt wird nichts.
«Mein Name ist Joël, und ich werde während der Kongresstage dein Reisebegleiter sein», schreibt Cachelin. Trotz des fiktionalen Ansatzes ist das Buch äusserst faktenreich – der promovierte Wirtschaftswissenschaftler belegt seine Thesen immer wieder mit drastischen Zahlen. Aber im Gegensatz zu Fachbüchern aus diesem Themenkreis, die «im Tonfall (…) moralisieren, sachlich, streng und düster» sind, will Cachelin mit seinem nicht abschrecken, sondern vielmehr zum Denken anregen.
«Fleischkonsum und Leistungskörper in Deutschland 1850–1914», Wallstein
«Fleischkonsum und Leistungskörper in Deutschland 1850–1914», Wallstein
«Veganomics – die vegane Revolution und ihre Zukunftsmärkte», Hirzel
«Veganomics – die vegane Revolution und ihre Zukunftsmärkte», Hirzel