Heute hätte Sophie Scholl ihren 100. Geburtstag. Doch sie starb bereits mit 21 Jahren – geköpft von den Nazis am 22. Februar 1943. Mit der christlich-humanistischen Widerstandsgruppe «Weisse Rose», die sie zusammen mit Freunden und ihrem zweieinhalb Jahre älteren Bruder Hans Mitte 1942 in München gebildet hatte, zog sie den Hass Hitlerdeutschlands auf sich. Nachdem die Geschwister am 18. Februar 1943 stapelweise Flugblätter in den Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität geworfen hatten, wurden sie von den Nazis geschnappt. Vier Tage später waren sie tot.
«Der Tag der Abrechnung ist gekommen», stand auf diesem sechsten und letzten Flugblatt, «der Abrechnung der deutschen Jugend mit der verabscheuungswürdigsten Tyrannis.» Die «Weisse Rose» wollte damit Studentinnen und Studenten zum Widerstand gegen die faschistische Diktatur aufrufen. Die Gruppierung machte sich einen Namen und war in der Nachkriegszeit der Inbegriff für den innerdeutschen Widerstand. Opern, Theaterstücke, Spielfilme, Hörspiele und Dutzende Sachbücher ehren das Andenken der «Weissen Rose» und ihrer Mitglieder bis heute.
Robert M. Zoske (69), deutscher Theologe und Historiker, veröffentlichte alleine drei Bücher zum Thema – unveröffentlichte Texte von Hans Scholl, eine Biografie über ihn und jüngst ein Porträt von Sophie Scholl. Es ist das neuste Buch und schonungsloseste Buch über sie. «Sophie Scholl – die Märtyrerin.» Bis heute sei dieses Bild vorherrschend, schreibt Zoske. «Das vorliegende Porträt setzt die begonnene Entmythologisierung und Historisierung fort – ohne Sophie Scholl dabei als Vorbild zu schmälern.» Vielmehr sei sie erst nach wissenschaftlicher Trennung von Fakt und Fiktion ein authentisches Leitbild.
Zoske zeichnet ein zutiefst menschliches Bild einer jungen Frau mit «ausgeprägt depressiven Sehnsüchten und sexuellen Ängsten». Er beschreibt sie als fromm, schweigsam, zurückhaltend, sogar schüchtern. «Aus historischer Distanz wird Sophie Scholl fast ausschliesslich als Studentin gesehen», so Zoske. «Doch das überdeckt, dass Sophie zuerst und deutlich länger anders war: Kindergärtnerin, Erzieherin.» Und das durchaus im nationalsozialistischen Sinn.
«Ich gelobe meinem Führer Adolf Hitler mein ganzes Leben hindurch unverbrüchliche Treue», schwor Sophie Scholl 1936 als glühende Scharführerin im Bund deutscher Mädel (BDM). «1939, am Ende der regulären Dienstzeit, hätte sich Sophie Scholl problemlos vom BDM verabschieden können», schreibt Zoske. «Sie tat es nicht.» Es könne also – wie oft behauptet – keine Rede davon sein, dass sie bereits Mitte der 1930er-Jahre nur noch widerstrebend mitgemacht habe.
Schmälert das ihr Andenken? Mitnichten! Vielmehr gewinnen die mutigen Worte an Gewicht, die sie nach ihrer Verhaftung zu Protokoll gab: «Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsweise erwachsen, auf mich nehmen.» Viele würden das angesichts der Guillotine nicht mehr sagen.
Robert M. Zoske, «Sophie Scholl: Es reut mich nichts – Porträt einer Widerständigen», Propyläen