Homeoffice, Social Distancing, kein Klassenausflug, kein Besuch bei Grosseltern: Das Corona-Jahr lässt uns alle deutlicher spüren, was das Wort Einsamkeit bedeutet. Linguisten und Soziologen denken derweil über den sprachlichen und gesellschaftlichen Bedeutungszuwachs des Begriffs während der Pandemie nach. Gerade dieser Tage sind zwei gewichtige Bücher zum Thema erschienen: «Das Zeitalter der Einsamkeit» von Noreena Hertz (53) und «Die neue Einsamkeit» von Diana Kinnert (30).
Einsamkeit, Zweideutigkeit: Hertz ist Tochter einer Feministin, Kinnert die einer Filipina; Hertz ist Britin, Kinnert Deutsche und beriet die britische Regierung bei der Einrichtung eines Ministeriums für den Kampf gegen Einsamkeit; Hertz ist Ökonomin, Kinnert Mitglied der wirtschaftsliberalen CDU; Hertz könnte altersmässig die Mutter von Kinnert sein; doch Kinnerts Buch ist deswegen keineswegs eine Abschrift jenes von Hertz – beide Frauen haben einen generationsspezifischen Ansatz.
Die Unterschiede zeigen sich dort, wo sich die beiden Bücher überschneiden – in den Kapiteln über Städte, Digitales und bei Lösungsansätzen. Die Frauen sind sich einig, dass Städte heute ein Hort der Einsamkeit sind. Doch während Hertz das Verhalten der Menschen in Städten fokussiert, betrachtet Kinnert mehr die Wirkung der Städte auf Menschen. «Studien belegen, dass es in den Städten nicht nur unhöflicher zugeht, sondern die Unhöflichkeit zunimmt», heisst es bei Hertz. Und Kinnert schreibt: «Städte können soziale Kompetenz fördern.»
Wo die Ältere Verrohung erkennt, sieht die Jüngere Chancen. Das zeigt sich auch beim Digitalen: Für Hertz ist es der exzessive Handy- und Social-Media-Gebrauch, «der auf sehr grundlegende Weise zu der einzigartigen Art der Einsamkeitskrise dieses Jahrhunderts beiträgt». Bei Kinnert liest man dagegen: «Insgesamt stehen wir heute vor einer Welt neuer Möglichkeiten, und diese klingen beängstigender und gleichzeitig verlockender denn je.»
Und wie sehen nun die Lösungsansätze aus? Hertz plädiert für eine Reglementierung der Social-Media-Firmen und zwischenmenschliche Praxis. «Die wohl beste Möglichkeit, Gemeinschaft zu praktizieren, bieten uns unsere Nachbarschaften», schreibt sie. Kinnert erachtet das als problematisch: «Mit Projekten wie Nachbarschaftsgenossenschaften oder Mehrgenerationenhäuser lässt sich der Einsamkeit zwar oberflächlich beikommen, doch ist dies höchstens klassische Symptombehandlung.»
Was hilft also ihres Erachtens im Kampf gegen die Epidemie der Einsamkeit? «Die offene Erforschung des Themas und eine genuine Debatte darüber, zudem ein interdisziplinärer Blick, der über alle Politikfelder hinausgeht», schreibt die CDU-Politikerin Kinnert.
Noreena Hertz, «Das Zeitalter der Einsamkeit – über die Kraft der Verbindung in einer zerfaserten Welt», HarperCollins
Diana Kinnert, «Die neue Einsamkeit – und wie wir sie als Gesellschaft überwinden können», Hoffmann und Campe