Das Fett muss weg! Viele wollen in der aktuellen Fastenzeit bis Ostern die Speckröllchen an Bauch und Hüfte loswerden, die sie sich an Weihnachten zugelegt haben. Schliesslich will man in der bevorstehenden Badesaison eine Gattung machen. Neben Diäten kommen auch radikale Methoden wie Absaugen zum Einsatz. Ja, am liebsten würden sich manche das Fett einfach ganz rausschneiden lassen. Doch würden die sich auch Leber, Niere oder gar den Darm entfernen lassen? Wohl kaum.
«Das sind Organe», denken Sie nun vielleicht, «das ist nicht dasselbe!» Aber da sind Mariëtte Boon (32) und Liesbeth van Rossum (45) anderer Meinung: «Denn ja, Fett ist genauso ein Organ wie das Herz oder die Lungen», schreiben die beiden niederländischen Medizinerinnen in ihrem eben auf Deutsch veröffentlichten Buch «Fett. Das geheime Organ». Jahrhundertelang habe die Auffassung vorgeherrscht, dass Fett nicht viel mehr als eine Isolierschicht gegen Kälte und Auswirkungen von aussen sei. «Aber nichts ist weniger wahr.»
Fett und Zucker sind der Tank für unseren Körper. Doch während in Leber und Muskeln 200 Gramm Glykogen (Zucker) gespeichert sind, was gerade mal für einen Tag reicht, fällt das Fett bei einer erwachsenen Person mit
14 Kilogramm ins Gewicht, was Energie für zwei Monate ergibt. In prähistorischer Zeit war dieser Vorrat überlebenswichtig, wenn die Jagd nicht erfolgreich war und es nichts zu essen gab. Aber auch heutige Menschen zehren laufend vom Fett – ohne könnten sie nicht leben, wie das im Buch beschriebene Beispiel einer Frau ohne Fettzellen eindrücklich aufzeigt.
Doch das schwerste Organ kann noch mehr: Nachdem Forscher 1994 das vom Fett produzierte appetitzügelnde Hormon Leptin gefunden und benannt hatten, entdeckte man bis heute 600 (!) weitere Fetthormone mit unterschiedlichen Funktionen. «Deshalb wird das Körperfett gegenwärtig in der Wissenschaft gern mit einem Dirigenten verglichen», schreiben die Autorinnen. Ein Dirigent, «der über die Ausschüttung von Fetthormonen unterschiedliche Aufträge erteilt und damit praktisch alle Organe unseres Körpers beeinflussen kann».
Sollten Frauen also wieder so füllig aussehen wie auf Rubens-Gemälden des 17. Jahrhunderts und Männer einen Fat Men’s Club für Schwergewichte bilden wie im 19. Jahrhundert? Nein, denn im Buch fehlt es nicht an warnenden Stimmen vor Übergewicht. «Unser Körperfett hat deutlich zwei Gesichter», heisst es darin. Solange es im Umfang nicht ausufere, sei es uns wohlgesonnen und halte uns gesund. «Haben wir jedoch zu wenig oder zu viel Körperfett, kehrt es sich gegen uns.»
Und das Fett lasse sich auch nicht so leicht austricksen, denn unser Körper sei überraschend gut darin, die Anzahl seiner Fettzellen konstant zu halten – nach einer Absaugung suchen die sich einfach ein neues Zuhause. So hätten verschiedene Studien gezeigt, dass sich das bei Frauen an Bauch oder Hüfte abgesaugte Fett gern und oft am Busen wiederfinde: 40 Prozent brauchen nach der Operation eine bis zu zwei Nummern grössere Körbchengrösse.
Mariëtte Boon/Liesbeth van Rossum, «Fett. Das geheime Organ – Körperfett verstehen, gesund und schlank leben», Heyne