Am White Turf in St. Moritz treffen sich jeweils die Reichen und Superreichen. (Archivbild)

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«Aber es ist legal»

«Hinter jedem grossen Vermögen steht ein Verbrechen», schrieb einst der französische Autor Honoré de Balzac. Nein, dahinter stehen in erster Linie Gesetze und Anwälte, wie die deutsche Juristin Katharina Pistor eindrücklich belegt. Oder ist das etwa dasselbe?
Publiziert: 18.01.2021 um 07:12 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2021 um 11:41 Uhr
ausgelesen von Dr. phil Daniel Arnet

Die Schere geht auf: In den letzten 35 Jahren verzeichnet die Hälfte der Weltbevölkerung einen Einkommenszuwachs von 12 Prozent, doch 1 Prozent der Menschheit hält 27 Prozent des neuen Vermögens. Schon der französische Ökonom Thomas Piketty (49) belegt das in seinem Standardwerk «Das Kapital im 21. Jahrhundert» (2013). Nun bemängelt die an der New Yorker Columbia Law School lehrende Juristin Katharina Pistor (57): «Piketty hat dieses Rätsel nicht aufgeklärt.» Die Professorin kennt die Lösung: Es ist das Recht, das Reichtum und Ungleichheit schafft.

Vom Vertragsrecht übers Eigentums-, Kreditsicherungs-, Trust-, Gesellschafts- bis zum Insolvenzrecht: All diese Paragrafen machen die Reichen reicher. «Mächtige Inhaber des globalen Kapitals haben mithilfe ihrer Anwälte nicht nur Wege gefunden, das Recht für ihre eigenen Interessen zu nutzen», schreibt die Deutsche Pistor, «sondern sie haben auch Gesetzgeber, Regulierungsbehörden und sogar die Gerichte in den meisten Ländern zu Agenten gemacht.» Und so kontern Kapitalisten Kritik mit den Worten: «Aber es ist alles legal.»

Mit dem ländlichen Grundbesitz fing alles an, wie Pistor eindrücklich aufzeigt: In der Verfolgung ihrer Exklusivrechte errichteten die Landlords Hecken und Zäune und beantragten bei den örtlichen Gerichten die Einräumung von Eigentumsrechten auf Grundlage der ersten Nutzung. Die erfolgreiche Einhegung des Landes schuf die Voraussetzung für einen aufblühenden Bodenmarkt.

«Viele Kommentatoren führen das Aufkommen privater Eigentumsrechte, verstanden als Begrenzungen der Macht des Staates, als Erklärung für den Aufstieg des Westens an», so Pistor. Dennoch sei es zutreffender, diesen Aufstieg auf die Bereitschaft des Staates zurückzuführen, die private Codierung von Gütern im Recht zu unterstützen. Pistors Schlussfolgerung: «Die rechtlichen Schutzmassnahmen, die das Kapital geniesst, dürften wohl die Mutter aller Subventionen sein.»

Ländlicher Grundbesitz ist bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein die wichtigste Quelle des Reichtums. Heute sind es Aktien, Anleihen, städtische Immobilien und Patente. Pistor nennt das Beispiel des BRCA-Gentests zur Brustkrebs-Früherkennung, den Hollywood-Schauspielerin Angelina Jolie (45) berühmt machte. Sie zahlte dafür 3000 Dollar. Doch bevor Myriad Genetics den Test patentieren liess, kostete er bloss 100 Dollar.

«Heute laufen wir Gefahr, den Zugang zu unseren eigenen Daten und zum Code der Natur zu verlieren», so Pistor, «und das nur deshalb, damit ausgewählte Vermögensinhaber eine weitere Gelegenheit dazu erhalten, ihren Reichtum auf Kosten aller anderen zu vergrössern.» Für die Juristin ist klar: Damit die Demokratie in kapitalistischen Systemen die Oberhand behalten kann, müssen die Gemeinwesen die Kontrolle über das Recht zurückgewinnen – und Pistor liefert dazu gleich einen Mehrpunkteplan.

Katharina Pistor, «Der Code des Kapitals – wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft», Suhrkamp


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