Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Der Tag der Arbeit kommt aus den USA

Haben die USA vor über 125 Jahren den Tag der Arbeit begründet, so sind heute die neuen sozialen Bewegungen in Nordamerika wieder Inspirationsquelle für Linke in anderen Ländern.
Publiziert: 03.05.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2022 um 12:58 Uhr
Der Beginn der neuen Linken in den USA: Die Occupy-Wall-Street-Bewegung 2011.
Foto: REUTERS
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Erster Mai, Tag der Arbeit: Die meisten denken dabei an Demonstrationsumzüge linker Kreise oder Paraden in (ehemals) kommunistischen Ländern. Aber wer denkt hier an die USA? Allerdings geht die Tradition des Tags der Arbeit auf einen Streik ab dem 1. Mai 1886 in Chicago zurück, als Gewerkschaften eine Verkürzung der täglichen Arbeitszeit von zwölf auf acht Stunden fordern. Der sogenannte Haymarket Riot endet blutig am 4. Mai: Eine Bombe explodiert in der Menge, Gewerkschaftsführer lässt man dafür später willkürlich hängen.

Auch wenn sie diesen Gedenktag initiierten, die USA haben keine Arbeiterbewegung und keine linke Partei – die Demokraten würden sich bei uns politisch wohl bei der Mitte oder der FDP einordnen. Umso erstaunlicher ist das neue Buch des deutschen Journalisten Lukas Hermsmeier (34) über Amerikas neue Linke – er ist ein ausgewiesener Vermittler zwischen den Kulturen, schreibt für «Zeit Online», «Tagesspiegel» und «taz» über US-Politik und ordnet für die «New York Times» deutsche Politik ein.

«Gerade aus der Ferne betrachtet konnte man in den vergangenen Jahren den Eindruck bekommen, dass das Land nur nach rechts gerückt ist», schreibt Hermsmeier angesichts der Präsidentschaft Trumps. Doch er zeigt auf, dass in den letzten zehn Jahren soziale Bewegungen wie Black Lives Matter, Sunrise Movement und die Democratic Socialists of America viele Menschen bewegen. Und alles nimmt seinen Anfang 2011 mit der Occupy-Bewegung um den Anarchisten und Anthropologen David Graeber (1961–2020).

«Occupy Wall Street hat einen Blitz durch die amerikanische Gesellschaft und Politik gejagt, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr geschehen ist», heisst es im November 2011 in einem Kommentar. Gewiss, die zeitweise Besetzung der New Yorker Börsenstrasse im Oktober überwand nicht den Kapitalismus und führte zu keinem Aufbau eines neuen politischen Systems. Dennoch sieht Hermsmeier eine Wirkung bis heute: «Als Labor für direkte und dezentrale Formen der Demokratie, dessen Ergebnisse die Grundlage vieler neuer Kollektive bildeten.»

Nicht zuletzt habe die Bewegung zu einer Rehabilitierung des Begriffs Sozialismus geführt: Gemäss einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup sagen 43 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner, dass sie eine «Form des Sozialismus» befürworten. «Der Wandel, der sich in den USA derzeit vollzieht, ist erstaunlich», schreibt Hermsmeier. In einer Gesellschaft, die so auf individuelle Verantwortung getrimmt sei, seien inzwischen mehr als zwei Drittel der Menschen überzeugt, dass Armut kein individuelles, sondern ein systemisches Problem sei.

Lukas Hermsmeier, «Uprising – Amerikas neue Linke», Klett-Cotta

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