Unvergesslich der Moment im Frühling vor ein paar Jahren: Ich sitze während der Abenddämmerung im Whirlpool auf der Dachterrasse eines Hotels im vorarlbergischen Feldkirch – da tiriliert auf der Dachzinne eines benachbarten Altstadthauses eine Amsel. Minutenlang unterhält mich der Gesang des Vogels, fröhlich pfeife ich mit. Ich weiss nicht, ob er mich als Eindringling in seinem Revier empfindet – ich für meinen Teil finde es einfach nur schön.
«Jener schwarze Vogel mit dem gelben Schnabel, der König der Hecken, belebt unsere Gefilde, sobald der Winter nachlässt, mit seiner teils geflöteten, teils volltönigen Strophe», umschreibt der französische Ornithologe Jacques Delamain (1874–1953) mein Hörerlebnis in poetischen Worten. Und weiter: «Die Phrasierung ist etwas kurz, doch reich und gebunden, die Kadenz ist schön, der Vortrag ungezwungen, fliessend, hell.»
«Warum die Vögel singen» heisst Delamains erstes Buch von 1928, das die französische Académie des sciences umgehend kürte. 1930 erschien eine deutsche Übersetzung, und nun legt der Basler Lenos-Verlag diese reich bebilderte Trouvaille wieder auf. Damals steckte die Vogelzugforschung noch in Kinderschuhen, aber Delamain stellte schon die Frage, ob sich Vögel am Erdmagnetismus orientieren – 1965 folgte die Bestätigung dieser Vermutung.
Wo die Forschung heute steht, zeigt ein anderes Buch, das ebenfalls eben erschienen ist: «Tierisch laut» der italienischen Ornithologin Francesca Buoninconti (33). Zwar geht sie der Kommunikation im ganzen Tierreich nach, doch der Gesang der Vögel unterscheide sich beträchtlich von jedem Ruf oder Schrei: «Er gehört zu den ehrlichsten Signalen in der Tierwelt», schreibt Buoninconti.
Zu den Singvögeln zählen mehr als 4700 Arten, «angefangen bei unserer Amsel bis zu den in Neuguinea heimischen Paradiesvögeln». Gesang sei vor allem im Frühling zur Paarungszeit nützlich, und das Licht entscheide, wann er einsetze – bei der Amsel etwa eine Stunde vor Sonnenaufgang. Buoninconti: «Man muss sich rechtzeitig räuspern und zu singen beginnen, um eine Gefährtin zu finden oder das Revier zu markieren.»
Ja, die Meistersinger sind Männchen. «Die Evolution hat Weibchen ein weniger auffälliges Federkleid und einen Hang zum Schweigen geschenkt, damit sie in der Paarungszeit nicht Raubtieren zum Opfer fallen», schreibt Buoninconti. Das heisst aber nicht, dass weibliche Vögel stumm sind: Von den 1269 Arten, bei denen genügend Datenmaterial vorliegt, gibt es zu 64 Prozent Sängerinnen.
Jacques Delamain, «Warum Vögel singen», Lenos
Francesca Buoninconti, «Tierisch laut – die wundersame Welt der Kommunikation im Tierreich», Folio